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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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hatte: vom Tod ihrer Eltern, seiner Großeltern, in einem Abstand von nur sechs Monaten; von ihrer Entdeckung, daß sie statt eines Vermögens nur Schulden hinterlassen hatten; von ihrem kurzen Aufenthalt bei Marie-Ange; ihrer Begegnung mit Paul Lindlar, den sie in einem kleinen Konzertsaal in Paris spielen hörte; von ihrer Heirat sechs Wochen später und den drei glücklichen Jahren, die folgten. Ihr Mann war zwanzig Jahre älter gewesen als sie und war an einem Herzinfarkt gestorben, kurz bevor Hitler an die Macht gekommen war. Claire war nach Frankreich zurückgekehrt und hatte ein unstetes Wanderleben geführt, unfähig, sich irgendwo niederzulassen. Ihren Lebensunterhalt hatte sie sich mit Klavierstunden verdient. Joe, der selbst gerade erst das Glück gefunden hatte, spürte, wie tief ihr Schmerz immer noch war.
    Und dann war ihr eines Tages ihre Großnichte eingefallen, die in einem Kloster in Caen war, und sie hatte sie besucht und war geblieben. Sie habe einmal geliebt, sagte sie zu Joe, und habe gewußt, daß sie nicht wieder lieben würde.
    »Und jetzt bist du also eine richtige Nonne?« Er stellte ihr die Teetasse und die Kekse hin.
    Sie lachte. »Noch nicht. Ich bin noch Postulantin, Joe. Ich lege mein Gelübde nächsten Monat ab. Darum bin ich jetzt zu dir gekommen. Ich werde bald nicht mehr soviel Freiheit haben herumzureisen, weißt du. Und es hat mich immer gequält, daß ich die Verbindung zu dir verloren hatte.« Sie lächelte. »Wir haben uns also beide gesucht und gefunden, mein Junge.«
    Er wußte, daß er jetzt fragen mußte, weil er es sonst nie tun würde. Ein Teil von ihm wehrte sich dagegen, weil er die Antwort fürchtete. Doch die Fragen, die ihn seit Jahren beschäftigten, ließen sich nicht länger totschweigen.
    »Ich wollte dich nach meinen Eltern fragen«, sagte er. »Ich wollte dich fragen, warum sie geheiratet haben.«
    Joe dachte an das Zimmer seiner Mutter, in dem sein Vater nichts verändert hatte; das Klavier, auf dem noch die Noten standen; die Blumen, die Fotografien, das Briefpapier. »Er hat sie geliebt. Aber sie hat ihn nur geduldet. Sie hat ihn nicht gehaßt, aber die meiste Zeit hat sie so getan, als wäre er nicht vorhanden.«
    Sie sagte leise: » Pauvre Thérèse.«
    Er hatte viel Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen. Er sagte aufgebracht: »Sie hat einen anderen geliebt, stimmt's?«
    »Meinst du nicht, Petit «, sagte sie vorsichtig, »daß man gewisse Dinge am besten ruhen lassen sollte?«
    Er war zum Fenster gegangen. Seine Hände auf dem Fensterbrett verkrampften sich plötzlich, als ihm aufging, wie die Ereignisse der Vergangenheit sich in der Gegenwart wiederholen konnten. Am liebsten hätte er Claire zugestimmt, das Thema gewechselt, über das Wetter gesprochen oder darüber, wie man Nonne wurde. Oder sonstwas.
    Aber wenn er jetzt nicht fragte, würde er keine Ruhe finden. Geister und Schatten – Thérèse und Francis – würden dunkel schwankend die Gegenwart heimsuchen. Darum schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, der Meinung bin ich nicht. Bitte erzähl mir, wie es war.«
    Ihr Ton verriet ihr Widerstreben. »Thérèse hat einen anderen geliebt, ja, Joe, da hast du recht. Du mußt bedenken, daß sie sehr jung war – erst zwanzig –, und Etienne war – ach, so ziemlich alles, was ein junges Mädchen sich ersehnt. Er war gutaussehend und intelligent und charmant – ich hätte mich beinahe auch in ihn verliebt. Ein Jahr lang sahen die beiden sich auf Bällen und Gesellschaften, und dann verlobte er sich plötzlich mit einem anderen Mädchen. Weißt du, Etienne hatte kein Geld, und Thérèse hatte auch keines. Er stammte aus einer großen Familie – das Vermögen seines Vaters wäre nach seinem Tod unter den Kindern aufgeteilt worden. Also mußte er Geld heiraten.«
    Sie schwieg. Gutaussehend, intelligent und charmant, hatte sie gesagt. Joe sah ihn vor sich, den treulosen Verehrer seiner Mutter – blond, mit grauen Augen, flatterhaft und ausschweifend. Auf so was flogen Frauen.
    Was sie dann noch berichtete, hörte er kaum; er hätte die Lücken selbst füllen können. John Elliot war in Paris aufgetaucht, um zum ersten- und einzigenmal in seinem Leben das Vergnügen einer Reise ins Ausland zu genießen. Irgendwo – in einem Park, bei einem Konzert oder einer Tanzveranstaltung – hatte er Thérèse Brancourt kennengelernt und sich in sie verliebt. Er war schon einmal verheiratet gewesen, aber er hatte nie geliebt. Und der Witwer John Elliot hatte

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