Das Winterhaus
lallen.«
Beinahe hätte sie mit ihm gelacht, aber beim Anblick dieses menschlichen Wracks, das aus ihm geworden war, konnte sie es nicht. »Und dann?« fragte sie.
Francis schloß einen Moment die Augen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Und dann hab ich durchgesoffen«, sagte er. Seine Stimme war tonlos, enthielt keine Spur der gewohnten Schnodderigkeit. »Gesoffen wie noch nie. Ich hab ein paar Dutzend Freunde verloren, den Wagen zu Bruch gefahren und am Ende um drei Uhr morgens heulend bei Vivien vor der Tür gesessen. Sie hat mir einen Klinikaufenthalt bezahlt.«
Mein Gott, dachte sie, aber sie sagte nichts. Sie wurde sich bewußt, daß er ihr immer noch Schmerz bereiten konnte. Als sie sich von ihm abwandte, sah sie, daß die Straße wie Satin im Regen schimmerte und kleine Bäche sich in den Rinnsteinen gesammelt hatten.
Sie hörte ihn sagen: »Ich weiß, ich war ein verdammter Idiot. Das Dümmste, was ich je getan habe, war, mit dir Schluß zu machen. Als ich in dieser grauenvollen Klinik war, hatte ich massenhaft Zeit zum Nachdenken. Ich habe sehr viel an dich gedacht, Robin. Ich weiß, ich habe verdammt lange gebraucht, um dahinterzukommen, aber ich wollte dir sagen, daß ich dich liebe.«
Etwas von der früheren Bitterkeit kehrte zurück, als sie daran dachte, wie eine solche Erklärung früher einmal auf sie gewirkt hätte. Aber er kam zu spät. Viel zu spät.
Er fragte, wie er schon einmal, vor langer Zeit, gefragt hatte: »Was meinst du, kannst du mich ein kleines bißchen lieben?«
Ihr schien, daß sie sehr lange für ihre Antwort brauchte. »O ja, Francis.«
Er senkte schnell die Lider, um seine Augen zu verbergen. »Aber?«
»Francis – ich bin seit dem Sommer mit Joe zusammen.«
Eine kleine Pause. Dann: »Gut. Das freut mich wirklich.«
Sie hätte ihm geglaubt, hätte er nicht ohne jede Emotion gesprochen.
Er lächelte und fügte hinzu: »Ich fand immer, ihr beide wärt füreinander geschaffen. Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen, als daß die beiden Menschen, die ich auf der ganzen Welt am liebsten habe – abgesehen von Vivien natürlich –, zusammenkommen.«
»Joe geht nach Spanien«, sagte sie.
»Tatsächlich? Bravo. Aber es ist ein Kampf auf verlorenem Posten, das weißt du wohl.«
Er neigte sich zu ihr und küßte sie flüchtig auf die Wange, und bei diesem Kuß wußte sie, daß sie frei war, daß sie ihn nicht mehr begehrte, daß es vorbei war. Wenn sie ihn immer noch ein klein wenig liebte und stets ein klein wenig lieben würde, so hatte das mit ihrer Liebe zu Joe nichts zu tun.
Joe ging und ging und dachte und dachte und versuchte die düstere Stimmung abzuschütteln, die ihn erfaßt hatte, seit er sich von Claire Lindlar verabschiedet hatte. Ihre Geschichte ließ ihn nicht los: die erste Liebe, die intensivste, ausdauerndste Liebe, niemals vergessen, niemals ganz aufgegeben. Er sagte sich, daß Robin ihn liebte. Sie hatte es ihm selbst gesagt. Sie war für immer mit Francis fertig, er hatte nichts zu fürchten, wenn er nach Spanien ging und sie in England zurückließ.
Er merkte plötzlich, daß er nur ein paar Straßen von der Klinik entfernt war. Sein Verlangen, sie zu sehen, sie im Arm zu halten, war überwältigend.
Er bog um die Ecke, und da waren sie, Robin und Francis, auf einer Bank auf der anderen Straßenseite. Als hätte seine eifersüchtige Phantasie sie aus dem Nichts heraufbeschworen. Er lehnte sich an eine Mauer und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Es regnete stark, sie hatten ihn nicht bemerkt. Als er sah, wie Francis sich zu ihr neigte und sie küßte, ballte er so krampfhaft die Fäuste, daß seine Fingernägel sich tief in seine Handflächen gruben. Er schob seine Fäuste in die Taschen und berührte kühles Metall. »Nein, in Ketten ist mein Herz. Und wird niemals frei sein.«
Er hörte Robin, wie sie mit schallender Stimme die bürgerliche Institution der Ehe verurteilte. Die Unabhängigkeit, die er an ihr bewunderte, erschien ihm jetzt wie ein Hohn. Sein Vater hatte den Fehler begangen, eine Frau zu heiraten, die unlösbar an einen anderen gebunden gewesen war; die Vergangenheit durfte sich nicht wiederholen. Niemals würde er sich in die demütigende Rolle des Bettlers zwingen lassen, in der sein Vater ausgehalten hatte, und ebensowenig würde er seine Reise nach Spanien dazu benutzen, Robin dazu zu bringen, den Rest ihres Lebens eine Lüge zu leben. Als er wieder zu Hause war, nahm er den Ring mit den kleinen Amethyst- und
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