Das Winterhaus
Das Mädchen ließ sie ein; Helen und ihr Vater beendeten gerade das Abendessen. Die Fergusons aßen stets zeitig zu Abend. Maia stellte es sich vor: Braune Grießsuppe und schlecht zubereiteter Hammelbraten, kein Feuer und keine Kerzen, solange es nicht dunkel war. Fröstelnd zog sie im Salon ihren Pelz fester um sich.
»Maia?« Helen schaute zur Tür herein.
»Helen! Darling!« Maia stand auf und gab Helen einen schnellen Kuß auf die Wange.
»Es ist schrecklich dunkel hier. Ich hole noch ein paar Lampen.«
Helen kehrte mit zwei Petroleumlampen zurück und zündete sie beide an. Ihr Licht fiel auf das braune Linoleum und die dunkle Holztäfelung. Dann bückte sie sich zum offenen Kamin und machte Feuer.
»Tee, Maia?«
Maia, die Helen betrachtete, fand sie verändert. Die Unsicherheit, die Ängstlichkeit waren verschwunden. Jetzt war Maia die Unsichere; diejenige, die die Entscheidung, die sie treffen mußte, innerlich fast zerriß.
Sie sah auf ihre Uhr. »Ich werde zu spät zu den Summerhayes kommen – aber ja, bitte, Helen – ich trinke gern eine Tasse.«
Ihr war ein wenig übel von dem Rauch, der aus dem schlecht ziehenden Kamin quoll, und von dem heißen, bedrängenden Geruch des Petroleums. Sie wartete mit gefalteten Händen, während Helen aus dem Zimmer eilte und einige Minuten später mit dem Tablett zurückkehrte.
Helen hatte sich auch in anderer Hinsicht verändert. Ihr Gesicht war schmal geworden, und um ihre Augen lagen bläuliche Schatten. Ihr Haar, früher so sorgfältig gelockt, lag jetzt lang und strähnig auf ihren Schultern. Die weißen Manschetten ihres Kleides hatten einen Graustich, und im Strumpf hatte sie eine Leiter.
Helen reichte Maia eine Tasse Tee. Dann sagte sie: »Du darfst Hugh nicht heiraten, wenn du es nicht willst, Maia.«
Maia hätte beinahe ihre Tasse fallen lassen. Etwas Tee schwappte in die Untertasse, als sie sie auf den Tisch stellte. Sie hörte sich lachen. »Aber natürlich will ich Hugh heiraten.«
Doch nicht einmal sich selbst konnte sie überzeugen. Sie versuchte es noch einmal. »Wenn ich einen Mann heiraten wollte, dann Hugh.«
»Das ist nicht ganz dasselbe«, meinte Helen.
Zornig sah Maia weg.
»Ich sage ja nicht, daß du Hugh nicht heiraten sollst. Ich weiß, daß er dich seit Ewigkeiten liebt, und ich sage nicht mal, daß du ihn genauso lieben mußt. Aber du darfst ihn nicht heiraten und es dann bereuen. Es wäre besser, jetzt mit ihm Schluß zu machen, als das zu tun.«
Immer wieder hatte sie versucht, sich von ihrem Versprechen zu befreien, aber alle ihre Bemühungen, Ausflüchte und halben Sätze (»Vielleicht sollten wir einmal miteinander sprechen, Hugh … Ich muß dir etwas sagen …«) waren an ihrem Schuldgefühl und seiner langmütigen Ergebenheit gescheitert. Sie war allmählich zu der Überzeugung gelangt, daß sie ihn dazu bringen mußte, sie zu hassen, wenn sie diese Verlobung lösen wollte. Und dazu war sie nicht tapfer genug.
»Möchtest du darüber reden, Maia?«
In der Erkenntnis, daß es in wenigen Wochen vielleicht schon zur Krise kommen würde, sagte sie scharf: »Mit dir? Das glaube ich nicht.«
Augenblicklich wünschte sie, sie könnte die Worte zurücknehmen. Was sie hatte sagen wollen und doch nicht konnte, war, daß Helen ihre einzige Freundin war und daß es diese Freundschaft zerstören würde, wenn sie ihr sagte, warum sie Hugh nicht heiraten konnte. Gerade Helen konnte von allen am wenigsten Verständnis aufbringen. Und sie hätte es nicht ertragen, auch noch Helen zu verlieren. Während sie noch nach Worten suchte, sah sie, wie Helens Gesicht sich verschloß.
»Ja, alte Jungfern haben wahrscheinlich von Heirat und Ehe keine Ahnung.«
»Helen. So habe ich das nicht gemeint. Und außerdem bist du überhaupt keine alte Jungfer –«
»Aber natürlich bin ich das. Ich bin siebenundzwanzig, und ich werde nie heiraten, ich werde nie Kinder haben.« Helens Stimme war ruhig und emotionslos. »Wenn Michael nicht wäre, dann wäre ich, glaube ich, lieber tot.«
Einen Moment lang fiel Maia nicht ein, wer Michael war. Dann erinnerte sie sich – das kleine Kind irgendeiner Bauernfamilie, die Helen besuchte. Maia starrte sie an. »Das ist doch nicht dein Ernst, Darling.«
Langsam drehte Helen sich herum und sah Maia an. »Doch, es ist mein Ernst. Dieses Haus – dieses Dorf – ich bin hier gefangen. Andere entkommen, aber ich nicht. Früher dachte ich immer, daß das Leben sich ausbreiten würde, wenn ich älter werde.
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