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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Aber meines ist geschrumpft, es ist fast zu nichts geschrumpft. Manchmal habe ich das Gefühl, unsichtbar zu sein. Ich habe das Gefühl, daß niemand mich sehen kann. Daß niemand es merken würde, wenn ich nicht da wäre.«
    Maia fröstelte. »Du hast doch die Leute in der Kirche – und im Dorf …« Sie zögerte. »Und deinen Vater …«
    Helen lachte. »Daddy sieht nicht mich, wenn er mich anschaut – er sieht Mami. Hast du das nicht gewußt, Maia?«
    Erschüttert sah Maia, wie Helen aufstand und noch etwas Kohle ins Feuer legte.
    »Und im Dorf gibt es ja kaum noch jemanden.«
    »Aber ich bin doch da. Ich würde es merken, wenn du nicht mehr hier wärst.« Maia fühlte sich den Tränen nahe; sie, die niemals weinte. Der lange Tag, dachte sie, und die Konsultation am Nachmittag. Helen, die mit dem Rücken zu ihr stand und im Feuer stocherte, antwortete nicht.
    Robin erhielt von Joe eine Karte, die in Paris abgestempelt war ( » Tu avais mon cœur, moi, j'avais le tien« ), und dann hörte sie nichts mehr. Wochen vergingen. Sie sagte sich, daß es nichts zu bedeuten hatte, daß man von einem Land, das sich im Kriegszustand befand, keinen perfekten Postdienst erwarten könne. Jeden Tag las sie die Zeitungen, studierte, eine Karte Spaniens neben sich ausgebreitet, jeden Satz und jedes Foto. Als sie im November von den Kämpfen in Madrid las, wurde ihr innerlich eiskalt. Sie packte Joe ein Päckchen: eine Dose Keks, eine Taschenflasche Brandy, Schokolade, Zigaretten und eines der neuesten Penguin-Taschenbücher.
    Sie arbeitete in der Klinik, sie schickte Bewerbungsschreiben an die medizinischen Fakultäten und erhielt postwendend die Absagen, die sie mit einer Mischung aus stoischer Ruhe und Wut hinnahm. Neil Mackenzie arbeitete im Ärztlichen Hilfsdienst für Spanien mit; Robin hörte mit widerstreitenden Gefühlen zu, wenn er von den Ambulanzen und den Sanitätstrupps erzählte, die nach Spanien aufgebrochen waren. Sie übernahm das Amt der Schriftführerin in einem Spanischen Hilfskomitee, sammelte Spenden für Nahrungsmittel und Medikamente, hielt Versammlungen ab, um das Anliegen der Republikaner zu erläutern. Die Großzügigkeit der Menschen, die zu den Versammlungen kamen, und der Anblick der kleinen Versorgungspäckchen – kleine Döschen Kakao und Kondensmilch –, die von Arbeiterfamilien gespendet wurden, rührten sie tief.
    Joe hatte seine Wohnung für die Dauer seiner Abwesenheit an einen Freund untervermietet, einen mittellosen Autor von Kriminalromanen. Robin ging einmal in die Wohnung, bevor der Autor einzog, holte Joes Post und wischte den Staub weg, der sich schon auf den Regalen zu sammeln begann. Alles in der Wohnung erinnerte sie an Joes Abwesenheit: der Gaskocher, der repariert werden mußte, seine Sommerjacke am Haken an der Tür, der alte Rasierapparat auf dem Badezimmerbord, den wegzuwerfen sie nicht über sich brachte.
    Zu Richard Summerhayes' fünfundsechzigstem Geburtstag Ende November fuhr Robin mit Merlin nach Hause. Er fuhr sehr rasant und sehr unaufmerksam, riß seinen uralten Wagen schlingernd um vereiste Kurven und rammte seinen Fuß aufs Gaspedal, als sie die langen, geraden Straßen der Fens erreichten. Es war ein Wunder, daß sie nicht in einem der vielen Gräben landeten.
    »Richard wird jetzt wohl bald in den Ruhestand treten«, meinte Merlin, als sie über eine schmale Brücke brausten. »Fünfundsechzig, die obligate goldene Uhr und was sonst noch so dazugehört.«
    »Am Ende des Halbjahrs«, sagte Robin. »Dann übernimmt Hugh die Leitung der humanistischen Abteilung.«
    Sie waren fast da. Merlin riß das Lenkrad herum, und der Wagen schlitterte in den Hof, daß der Kies aufspritzte. Maias Wagen stand beim Seitentörchen, Automobile, Fahrräder und Motorräder standen überall auf den Wegen und auf dem Rasen. Robins Atem stieg in kleinen Wölkchen in die frostige Luft, und auf den Fensterscheiben des Hauses hatten sich schon Eisblumen gebildet.
    Der Salon quoll über von Gästen, bis in die Eingangshalle hinaus standen sie. Richard rief: »Es sind nur sieben gleiche Teelöffel da, Daisy!« und umarmte Robin und schüttelte Merlin die Hand. Daisy, zierlich und hübsch in kornblumenblauer Seide in einer perlenbestickten Stola, rief: »Die guten sind alle in der Spülküche, Richard, Darling. Das Mädchen hat sie dahin gelegt. Sie wollte helfen.«
    »Sie ist komplett verrückt.« Hugh kam mit Maia aus dem Salon. Er schob seinen Arm um Maias Taille; Robin bemerkte Maias

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