Das Winterhaus
–«
»Pa!« Robin drehte sich nach Maia um. Ihr Ton war voller Verachtung. »Du willst doch nur dein eigenes Gewissen beruhigen, ist es nicht so, Maia?«
Maia hielt ihr Weinglas in ihren langen weißen Fingern. Sie lächelte maliziös. »Das mußt du mir erklären, Robin.«
»Wie viele Leute bei Merchant hast du während der Depression entlassen?«
Sie hörte Hugh sagen: »Robin. Bitte. Nicht jetzt«, aber sie konnte nicht aufhören. Es war, als wäre ein Damm gebrochen und alle Ängste und der ganze Zorn des letzten Jahres brächen hervor. »Wir haben Hester wenigstens ein Zuhause gegeben. Sie mußte wenigstens nicht ins Wasser gehen –«
»Robin!« Sie hörte, wie Maia zischend den Atem einsog.
Hugh sagte: »Um Gottes willen, Robin – es ist Pas Geburtstag. Maia ist unser Gast.«
»Danke, Hugh, ich bin es gewöhnt, auf mich selbst aufzupassen. Ich brauche wirklich kein Kindermädchen.«
Fast alle hatten zu essen aufgehört. Nur Merlin schaufelte noch eine Portion Karotten und Blumenkohl auf seinen Teller. Daisy sagte freundlich: »Dann decke ich jetzt ab. Es sind ja wohl alle fertig, nicht wahr?« Sie begann Teller zu stapeln und Besteck auf das Tablett zu häufen.
Zwei rote Flecken brannten auf Maias Wangen, als hätte jemand sie geschlagen. Doch ihre Stimme war ruhig, als sie wieder sprach.
»Da du gefragt hast, Robin – ich habe während der Depression fünfunddreißig Angestellte entlassen. Hätte ich es nicht getan, wäre die Firma Merchant wie so viele andere Unternehmen vielleicht gezwungen gewesen, ihren Betrieb einzustellen. O ja, ich habe tatsächlich nachts wach gelegen und mich gefragt, ob ich richtig handle. Aber was ich getan habe, mußte ich tun. Es hat mir kein Vergnügen bereitet, aber es war meine Pflicht.« Sie lachte, es klang hohl und unangenehm. »Wie bequem, wenn man niemals solche Entscheidungen treffen muß. Wie bequem, einfach mit der Strömung zu schwimmen, sich aus allem herauszuhalten, ein Leben zu führen, das einem erlaubt, solche Entscheidungen zu vermeiden. Sich zur eigenen Tugendhaftigkeit gratulieren zu können, ohne daß die eigene Bequemlichkeit je im geringsten bedroht ist.«
Danach blieb es lange still. Hughs Gesicht war kreidebleich, und ein kleiner Muskel in seinem Augenlid zuckte heftig. Er sagte langsam: »Siehst du uns wirklich so, Maia – als selbstzufrieden?«
Maia zuckte die Achseln, eine kleine, nachlässige Bewegung. Ihre Augen waren dunkel und schmal, nur vom gelblichen Glanz des reflektierten Kerzenlichts erhellt.
»Ich möchte es wissen. Ich muß es wissen.« Der verzweifelt drängende Ton von Hughs Stimme ließ Robin schaudern.
»Wirklich, Hugh? Bist du sicher?«
Es war kein Funken Mitleid in Maias Stimme, als sie sich Hugh zuwandte. Kein Funken Liebe , dachte Robin.
»Dann werde ich es dir sagen. Ihr veranstaltet eure Flohmärkte, eure Basare – und dann kehrt ihr in dieses Zuhause zurück.« Maias Geste umfaßte die Kristallgläser, die silbernen Leuchter, all die schönen alten Dinge, mit denen Robin aufgewachsen war. »Ich bin wenigstens ehrlich. Ich gebe zu, daß ich ein Faible für schöne Dinge habe. Ich gebe zu, daß ich zu allem bereit bin, um das, was ich besitze, behalten zu können.« Sie blickte über den Tisch zu Richard, Trotz in den Augen. »Würde einer von euch etwas aufgeben, das er wirklich liebt, um jemandem zu helfen, der schlimmer dran ist als ihr? Du dein Klavier, Richard – du deinen Wagen, Hugh? Ich glaube es nicht.«
»Man hat auch der eigenen Familie gegenüber Pflichten, Maia –«
Maia sprach weiter, als hätte Richard nichts gesagt. »Und natürlich unterrichtet keiner von euch beiden an irgendeiner schrecklichen kleinen Dorfschule in den Fens, wo die Eltern halbe Analphabeten sind und die Kinder einmal im Jahr ein Bad nehmen. Nein – ihr unterrichtet beide an einer feinen Privatschule in Cambridge, wo ihr von kultivierten Menschen und ordentlichen gutbürgerlichen Werten umgeben seid. Die anderen Leute – die schmutzigen, wertlosen, ungebildeten –, die kriegen das, was übrigbleibt. Weil ihr euch dann einbilden könnt, besser zu sein als Leute wie ich.«
Die Nachspeisen, die Daisy hereingebracht hatte, standen unberührt auf der Kredenz. Die Baisers, die Fruchtkuchen, der Pudding. Das Feuer war fast erloschen.
Maia blickte rund um den Tisch. Wieder dieses schreckliche, zerstörerische Lächeln.
»Ihr Summerhayes seid ja so große Sammler! Musik – Gemälde – Menschen. Ihr legt euch Menschen zu,
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