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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Laub wirbelten unter seinen fliegenden Füßen in die Höhe.
    »Aller guten Dinge sind drei«, sagte der jüngste der Londoner, mit denen Joe die Überfahrt gemacht hatte, und schoß zur Tür hinaus. Der Kugelhagel traf ihn, als er etwa die Hälfte des Wegs überwunden hatte. Es sah beinahe so aus, als erstarrte er mitten im Lauf. Sein Körper bäumte sich auf, ehe er zu Boden stürzte. Seine Glieder zuckten noch einmal, dann lag er still. Keiner der Männer, die von der Haustür aus den Lauf verfolgt hatten, sprach ein Wort. Dann stürzte sich schon der nächste Mann mit einem Schrei der Verzweiflung oder der Wut – Joe war sich nicht sicher – in das freie Gelände hinaus. Die Kugeln rissen ihn nieder, und er sank am Stamm eines Olivenbaumes zusammen.
    Ich habe die Wahl, dachte Joe. Er konnte im Lauf über dieses Stück elenden Landes erschossen werden, er konnte bei lebendigem Leib verbrennen, oder er konnte gefangengenommen und exekutiert werden. Dann, dachte er, doch am liebsten durch einen Schuß fallen. »Ich werde jetzt –« Doch dann schnitt ihm ohrenbetäubendes Geknattere das Wort ab.
    »Ein Maschinengewehr –«
    »Sie haben den verdammten Hügel genommen!«
    »Unsinn, Patrick, das ist eines von unseren!« Joe rannte zur Tür hinaus.
    Er erreichte den ersten Baum und warf sich zu Boden. Er spürte die rasche Bewegung der Luft, als die Kugeln über ihn hinwegsausten. Er wollte für immer dort liegen bleiben, das Gesicht auf der nackten Erde, doch er zwang sich, zitternd vor Anstrengung und Furcht, zum nächsten Baum zu laufen. Das republikanische Maschinengewehr knatterte irgendwo nicht weit entfernt und übertönte vorübergehend das Feuer der Nationalisten.
    Er hatte sich die Strecke im Geist in drei Abschnitte eingeteilt, von Baum zu Baum. Die ersten beiden hatte er geschafft, nur einer wartete noch. Das gefährlichste Stück, völlig ungeschützt und hoch gelegen. Joe holte tief Luft und rannte schneller als je zuvor in seinem Leben. Die Kugeln pfiffen, er war sicher, daß sie ihn treffen würden, aber plötzlich hatte er keinen Boden mehr unter den Füßen und stürzte keuchend kopfüber in einen Graben.

16
     
    Im Trainingslager des britischen Bataillons in Madrigueras, in der Nähe von Albacete, schlief Hugh Summerhayes auf einem Strohsack unter feuchten Decken. Das war das Auffallendste an Spanien, dachte er, diese Feuchtigkeit. Die Decken, die Wände, die Böden, alles war naß, kalt, schimmelig. Draußen fiel unablässig ein feiner, kalter, stichelnder Regen, der unter Krägen und Manschetten sickerte und alle Kleider durchdrang. Den ganzen Tag übten und exerzierten sie im Regen; nachts, wenn sie in die Kaserne zurückkehrten, waren nie genug Feuer da, um alle Kleider zu trocknen. Hugh hatte zwei Uniformen zum Wechseln, beide waren sie ständig feucht. Er hatte sich am ersten Tag in Madrigueras eine Erkältung geholt und wurde sie nicht los.
    Er glaubte, es sei dem Wetter zu danken, daß seine Kriegsneurose nicht wieder aufgeflammt war, auf der ganzen Reise von England nach Spanien hatte ihn die Angst gequält, daß er sich zum Narren machen, bei lauten Geräuschen schreckhaft zusammenzucken oder unkontrollierbar zu zittern anfangen würde, wenn sie ihm ein Gewehr in die Hand drückten. Sein ständiger Kampf mit der Kälte und der Feuchtigkeit jedoch schien alles andere zu verdrängen. Er hatte keine Alpträume von Schützengräben und Stellungskrieg und auch nicht von Flandern. Das schien alles sehr lange her zu sein. In seinem schlimmsten Traum trieb er auf einer Eisscholle dahin, die Füße im eiskalten Wasser, während an seinen Zehen die Fische nagten.
    Außerdem mußte er sich um den Jungen kümmern. Er hatte Eddie Fletcher auf der Fähre zum Kontinent kennengelernt. Eddie hatte sich mit einer lässigen Handbewegung das Haar aus der blassen, pickeligen Stirn gestrichen und hatte erklärt, er sei 19 Jahre alt, Hafenarbeiter und wolle nach Spanien, um gegen die Faschisten zu kämpfen. Hugh vermutete, daß er 17 war und arbeitslos, aber sagte nichts, er wollte den Jungen nicht kränken. Abends, wenn die anderen Männer tranken, rauchten und Karten spielten, schrieb Eddie Kurzgeschichten. Einmal zeigte er Hugh schüchtern eine von ihnen. Seine Orthographie war erbärmlich, seine Schrift groß und kindlich, doch die Ansätze einer Begabung für Aufbau und Tempo einer Geschichte waren erkennbar.
    Hugh zeigte Eddie, wie man ein Gewehr reinigte und wie man seinen Tornister so packte, daß

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