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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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verdunkelten die Hügelhänge, und aus ihren Bäuchen stoben Rauchwolken. »Junker 87«, sagte David Talbot, ein Apotheker aus Manchester, mit Kennermiene. »Sie sind bestimmt auf dem Weg nach Madrid.«
    Die Flugzeuge flogen über sie hinweg; es bestand keine Gefahr für sie. Joe blickte den silbernen Maschinen nach und hörte den fernen Einschlag von Bomben. Dann setzten sie, hinter struppigen Büschen und Olivenbäumen Deckung nehmend, den Anstieg fort. Wieder schlugen rund um sie herum Kugeln ein und rissen die Erde auf, aber Furcht verspürte er immer noch nicht. Es schien einfach zu unwirklich. »Mensch, runter mit dem Kopf«, murmelte Ted Green, der auf dem Bauch zum Rand eines Hügelkamms robbte. Das nun schon vertraute pfeifende Geräusch, ein kleiner Staubwirbel, und plötzlich, noch während Joe hinsah, schienen Teds Ellbogen einfach zusammenzuklappen, und sein Kopf fiel nach vorn auf seine Hände.
    Joe spähte über die Hügelkante. Erst konnte er sie nicht erkennen, aber dann, als die Rauchschwaden sich verzogen, sah er die Männer, die auf der anderen Seite des Tals unter den Bäumen verteilt waren. Sein erster Blick auf den Feind. Plötzlich hatte er Herzklopfen.
    »Das sind ja Hunderte, verdammt noch mal, Ted.«
    Ted antwortete nicht. Joe sah zu ihm hinüber. Ted lag immer noch bäuchlings da, den Kopf auf den Händen. Er schien zu schlafen. Kugeln zischten über sie hinweg, und Joe wurde sich bewußt, daß er jetzt plötzlich Angst vor ihnen hatte. Er kroch durch das Unterholz und tippte Ted auf die Schulter.
    »Ted?«
    Die anderen Männer starrten ihn alle an. Ted rührte sich nicht. Vorsichtig wälzte Joe ihn auf den Rücken. Seine Augen waren offen, und in seiner Stirn klaffte ein kleines, sauberes rotes Loch.
    Joe suchte nach einem Puls, wußte aber schon, daß Ted tot war. Ted Green, der nur ein einziges Mal vorher im Ausland gewesen war, um als Siebzehnjähriger in Flandern zu kämpfen, der in den zwanziger Jahren Gewerkschafter gewesen war, der seine Frau und sein einziges Kind durch eine Scharlachepidemie verloren hatte, Ted Green war tot. Du darfst nicht tot sein, hätte Joe am liebsten gesagt. Ich habe dir den Kopf gehalten, als du auf der Fähre seekrank warst, ich habe dir bitte und danke auf französisch und spanisch beigebracht, und du hast mir gezeigt, wie man ein Gewehr auseinandernimmt und reinigt. Du kannst doch nicht tot sein.
    Sie bezogen Positionen an einem Hügelhang, und zum erstenmal seit seiner Schulzeit feuerte Joe ein Gewehr ab. Er hatte keine Ahnung, ob seine Kugel jemanden getroffen hatte; lange genug hinter dem Erdwall hervorzuspähen, um das erkennen zu können, wäre viel zu riskant gewesen. Joe hatte den Eindruck, daß auf der anderen Seite des Tals weit mehr Männer waren als auf ihrer Seite.
    Am folgenden Morgen erhielten sie Befehl, ein kleines Gehöft seitlich des Hügels zu besetzen. Wochen später träumte er von diesem Gehöft. Es bestand aus mehreren kleinen weißgetünchten Bauten, die sich um einen Hof gruppierten. Seine Bewohner waren längst in die zweifelhafte Sicherheit Madrids geflohen. Joe konnte die strategische Bedeutung des Gehöfts nicht erkennen, aber, so sagte er sich, so ging das in Kriegen – besonders in Bürgerkriegen – wahrscheinlich immer zu. Man kämpfte um kleine, augenscheinlich unwichtige Flecken Land und versuchte sich alles zu sichern, was nur die geringste Möglichkeit von Schutz und Deckung bot. Auf den Bäuchen robbten sie über den Hang in Richtung zu dem Gehöft. Ihre Köpfe waren durch Blechhelme vor den Kugeln geschützt, die mit Tagesanbruch durch die Luft pfiffen. »Ich hab gehört, sie schicken uns ein Maschinengewehr«, sagte Jock Byrne optimistisch. »Um uns Deckung zu geben.«
    Um in das Bauernhaus zu gelangen, mußten sie etwa fünfzig Meter über freies Gelände laufen. Sporadische Feuerstöße wühlten die Erde auf; wenn man direkt nach einer Salve loslief, schaffte man es gerade bis ins Haus. Drinnen sah Joe zum erstenmal die Auswirkungen des Krieges auf das Leben derer, die mit hineingezogen wurden. Einige ihrer Besitztümer hatte die Familie bei der Flucht mitnehmen können, aber längst nicht alle. Der Waschzuber, die eisernen Bettgestelle, die Scherben der Weinkrüge, die im Hof lagen, das alles waren traurige Zeugnisse eines normalen Lebens, das grausam gestört worden war. Hätte Joe seine Phantasie schweifen lassen, so hätte er sich die Familie vorstellen können, wie sie an dem großen Küchentisch saß,

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