Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
nach Madrid gelangt und hatte sofort begonnen, in den Wirren des spanischen Bürgerkrieges nach Hugh und Joe zu suchen. Man hatte ihr gesagt, daß ihre Einheit nur vorübergehend in Madrid stationiert sei und, sobald sich die Notwendigkeit ergebe, näher an die Front verlegt werden würde.
    Die prachtvollen Häuser und Hotels in den wohlhabenden Bezirken der Stadt standen in krassem Gegensatz zu den abbruchreifen Hütten in den ärmeren Vierteln. Im Krankenhaus behandelten sie sowohl Soldalten als auch Zivilisten. Als sie das erstemal die grauenhaften Verletzungen sah, die Kinder durch Bomben und Granaten erlitten hatten, mußte sie ihren Schmerz und ihr Entsetzen gewaltsam unterdrücken, indem sie sich grimmig sagte, daß sie keinem nützen würde, wenn sie vor lauter Tränen nicht sehen konnte. Da sie nur in Erster Hilfe ausgebildet war, gehörte sie im Krankenhaus zu denen, die die niedrigsten Arbeiten verrichteten. Sie leerte Bettpfannen, machte die Betten, polierte die Böden, bis sie glänzten, und reinigte die Instrumente. Ihre Hände waren bald rot und aufgesprungen, ständig taten ihr die Füße weh. Ab und zu gestattete man ihr, beim Baden oder Ankleiden eines Patienten zu helfen, oder ließ sie auch einen Mann füttern, der seine Hände nicht mehr gebrauchen konnte. Die furchteinflößende schottische Krankenschwester, die mit ihnen aus England herübergekommen war, schien jeden Fehler zu sehen, der ihr unterlief. Noch nachts in ihren Träumen hörte Robin Schwester Maxwells eisiges »Summerhayes«. Als eine der anderen Schwestern ihr erklärte, im Augenblick gehe es ruhig zu, aber es würde bestimmt bald wieder mehr Arbeit geben, konnte sie das kaum glauben. Schon jetzt schien ihr jeder Tag voll ausgefüllt zu sein.
    Sie mußte sich innerhalb weniger kurzer Wochen an viel Neues gewöhnen: Ihr Zimmer mit drei anderen Schwestern zu teilen und kaum je einen Moment für sich zu haben, was sie schon in der Schule so gehaßt hatte; Befehle auszuführen, ohne Fragen zu stellen. Doch an diese Dinge konnte sie sich gewöhnen, wenn auch langsam. Niemals jedoch würde sie sich an den Anblick eines Kindes gewöhnen können, das dort, wo einst sein Bein gewesen war, nur noch einen Stumpf hatte, oder an die verzweifelten Schreie eines erwachsenen Mannes nach seiner Mutter.
    Gleich nach ihrer Ankunft in Spanien hatte sie mit ihrer Suche nach Hugh begonnen. Sie hatte bei Ärzten und Schwestern im Krankenhaus nachgefragt, bei Patienten, die an der Front verwundet worden waren, bei den Funktionären, die sich im Auftrag von britischen Hilfsorganisationen in Madrid aufhielten. Nachdem sie herausgefunden hatte, daß Hugh noch im Ausbildungslager in Madrigueras war, hatte sie ihm in der vergangenen Woche sofort geschrieben. In ihrer Schürzentasche steckte der Brief, den sie an diesem Morgen erhalten hatte. Sie hatte noch nicht die Zeit gehabt, ihn zu öffnen, aber sie wußte, daß er von Hugh war.
    Schwester Maxwell beobachtete sie mit scharfem Blick, als sie dabei war, ein Bett frisch zu überziehen. Sie zog das gestärkte Leintuch glatt und achtete darauf, daß auch nicht das kleinste Fältchen entstand, als sie es an den Ecken einschlug. Als sie endlich ihre zehnminütige Pause nehmen konnte, lief sie ins Schwesternzimmer, zog ihre Schuhe aus und stellte den Kessel auf den Gaskocher. Dann riß sie den Brief auf und begann zu lesen. Als sie zum Ende des Schreibens kam, stieß sie einen gereizten Seufzer aus. Die einzige andere Schwester im Zimmer, ein Mädchen namens Juliet Hawley, fragte: »Schlechte Nachrichten?«
    Robin schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe endlich von meinem Bruder gehört. Er ist in Madrigueras, aber er schreibt, daß er jeden Tag an die Front verlegt werden kann.«
    Sie setzte sich auf einen Stuhl am Fenster und sah zu dem Spielplatz der Schule hinunter, die das Krankenhaus beschlagnahmt hatte. Es waren keine Kinder da; ein Sanitätswagen wurde gerade gereinigt und neu ausgerüstet, um dann an die Front zurückzukehren, und zwei Schwestern standen im Regen und unterhielten sich miteinander. Hughs Brief lag zusammengeknüllt in ihrer Hand; sie glättete das Papier und faltete es sorgfältig. Sie fürchtete die Bomben nicht, die manchmal nur wenige hundert Meter vom Krankenhaus fielen; und auch der Gedanke, näher an der Front zu arbeiten, schreckte sie nicht. Aber sie hatte ständig Angst um Hugh und Joe. Es war eine schreckliche, nagende Angst, die sie nicht kontrollieren konnte, eine beklemmende

Weitere Kostenlose Bücher