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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Arbeitsanzüge oder Cordzeug an – die Kleidung der Arbeiter und Bauern. Es gab keine förmlichen Anreden, überall galt nur das Wort »Genosse«. Revolutionslieder schallten aus Bars und Cafés, und die Worte der Internationale begleiteten ihn, als er die Prachtstraße Las Ramblas hinunterging. Joe schloß hundert Freundschaften, versprach jedem seiner neuen Freunde wiederzukommen, Verbindung zu halten, und hatte doch schon am folgenden Morgen alle Namen vergessen.
    Mit dröhnenden Kopfschmerzen bestieg er den nächsten Zug, der ihn nach Albacete in Murcia bringen sollte, wo die alte Kaserne der Guardia Civil zum zentralen Ausbildungslager der Internationalen Brigaden umfunktioniert worden war. Die Kaserne war riesengroß und finster, die Straßen der tristen kleinen Stadt waren von mageren Eseln, gebeugten alten Männern und unterernährten Kindern bevölkert. Die Rekruten bekamen Uniformen; die Cordhosen waren den stämmigen kleinen Schotten und Iren viel zu lang, und für den hünenhaften französischen Dockarbeiter, mit dem Joe sich in Figueras angefreundet hatte, fand sich nichts, was paßte. Ausgestattet mit einer Decke, Gürtel, Teller, Löffel, Becher, Messer und Patronengurt, der um die Brust geschlungen wurde, kam Joe sich vor wie ein schlecht verschnürtes Bündel. Bei jeder Bewegung klapperte und klirrte es.
    Das Essen in Albacete war fad, aber annehmbar. Ein wenig schlechter als in der Schule, aber weit besser als im Obdachlosenheim. Ihm fiel auf, daß die unterernährten Schotten aus Glasgow stets mit befriedigtem Grunzen alles bis auf den letzten Bissen aufaßen, während die Rekruten aus den gutbürgerlichen Familien murrten und sich darüber aufregten, daß sie mit dem Bauch voll wäßrigem Eintopf und Granatäpfeln in den Krieg ziehen sollten. In der Kaserne war es kalt und klamm, und sie schliefen von dünnen Decken nur notdürftig warm gehalten auf Betonböden.
    Die Ausbildung bestand aus Fußmärschen, entweder in Kolonne oder im Karree, und sogenannten »Manövern«, bei denen man stundenlang in der öden Landschaft herumrannte. Sie hatten keine Munition, und das Rattern von Maschinengewehren wurde mit Rasseln imitiert. An den Abenden hörten sie sich lange, ermüdende politische Vorträge an und tranken Grappa.
    Er bekam langsam den Verdacht, daß er es wieder einmal falsch gemacht hatte, daß sein Ehrgeiz, den Faschismus zu bekämpfen, sich in Langeweile und Enttäuschung auflösen würde, während er mit einem Stock, der ein Gewehr sein sollte, auf einer schlammigen spanischen Straße herumfuchtelte, als man ihnen mitteilte, daß sie am folgenden Tag an die Front gebracht werden würden.
    Zuerst erinnerte es Joe an eine Felddienstübung in der Schule. Das zielstrebige Herumgerenne ohne große Wirkung, die Mischung aus gespannter Erwartung und Durcheinander.
    Sie waren irgendwo nicht allzu weit von Madrid – er hatte keine Karten gesehen –, in einer hügeligen, winterlichen Landschaft, die ihn, wenn er morgens erwachte, flüchtig an Yorkshire erinnerte. Die Hügel waren von Hohlwegen durchfurcht und mit Olivenbäumen bedeckt, deren knorrige Äste frostgrau waren. Sie rückten langsam vor; immer zu zweit hetzten sie von Graben zu Graben, von Buckel zu Buckel. »Wie ›Kaiser, wieviel Schritte darf ich gehen‹«, brummte Ted Green, und Joe lachte leise.
    Der Himmel war blau, und es ging kein Wind. Anfangs war es still, nur das Zwitschern von Vögeln und das Knirschen ihrer Schritte im Unterholz war zu hören. Dann wurde Joe auf ein Singen in der Luft über ihnen aufmerksam. »Hornissen?« fragte er Ted, und Ted sagte: »Nein, Kugeln, du Blödian.« Als sie weiter vorrückten, begannen die Kugeln um sie herum im Boden einzuschlagen. Kleine Staubwolken stiegen in die Luft. Es erschien Joe irrsinnig und aufregend zugleich, daß jemand auf sie schießen sollte.
    In einem Hohlweg geschützt, machten sie eine Weile Rast, vertilgten die unvermeidlichen Granatäpfel und brauten Kaffee. Die Sonne hatte die Kälte des frühen Morgens vertrieben, und zum erstenmal, seit er in Spanien angekommen war, war Joe beinahe warm. Er legte sich auf den Rücken und sah zum blaßblauen Himmel hinauf, froh, Decken, Teller und Patronengurt, wenn auch nur für ein paar Minuten, los zu sein.
    Plötzlich brüllte jemand: »Flugzeuge – geht in Deckung!«, und alle rannten unter die Bäume. Joes Decke rollte davon, und sein Blechbecher hüpfte den steilen Weg hinunter. Die Schatten der nationalistischen Flugzeuge

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