Das Winterhaus
am dringendsten gebraucht wurden. Wenn er Tabak hatte, rauchte er eine Zigarette nach der anderen. Er half bei den Arbeiten zum Abstützen der Gräben, er ging Wache, wenn er an der Reihe war, und meinte manchmal den heftigen Schlag der Kugel zu spüren, die auf ihn wartete.
Am Mittag unterzeichnete Adam den Mietvertrag. Den Rest des Tages verwendete er darauf, seine neue Werkstatt zu säubern. Sie befand sich am Rand von Richmond, nicht weit vom Fluß. Die eleganten Geschäfte im Zentrum Londons waren von hier aus relativ bequem zu erreichen. Die Räume über der Werkstatt waren klein, aber hübsch, und hinter dem Haus gab es ein Fleckchen Garten. Er hatte Tag und Nacht gearbeitet, um die Anzahlung für das Haus zusammenzusparen, getrieben von der Erinnerung an Helens gequältes Gesicht, getrieben aber auch von einer Angst um sie, die er nicht genau definieren könnte. Wenn er rund um die Uhr arbeiten würde, schätzte Adam, würde er zwei Tage brauchen, um das Haus einigermaßen wohnlich zu machen. Dann würde er nach Thorpe Fen zurückkehren und Helen bitten, seine Frau zu werden. In dem Brief, den er ihr vor einer Woche geschrieben hatte, hatte er ihr von dem Haus und seinen Zukunftsplänen berichtet. Er hatte noch keine Antwort erhalten – er hatte auf keinen der Briefe, die er ihr geschrieben hatte, eine Antwort erhalten. Beunruhigt argwöhnte er, daß ihr Vater die Briefe abfing.
Adam arbeitete bis in die Nacht hinein, dann kehrte er in seine Pension zurück. Auf der Kredenz wartete ein Brief auf ihn; die Handschrift auf dem Umschlag kannte er nicht. Er las das kurze Schreiben, während er sein Abendessen verzehrte. Als er fertiggelesen hatte, war ihm klar, daß er keine Zeit verlieren durfte, sondern gleich am nächsten Tag nach Thorpe Fen reisen mußte.
Beim Sommerschlußverkauf, dachte Maia, ging es jedesmal zu wie auf einem Schlachtfeld. Am Ende des Tages waren sie und Liam völlig erledigt. In ihrem Büro holte Maia eine Flasche Scotch und zwei Gläser aus dem Schrank; Liam, der, die Füße auf der Kante ihres Schreibtischs, in einem Sessel saß, las den Sportteil der Lokalzeitung.
Maia schenkte den Whisky ein. »Ich dachte, die beiden Frauen würden sich gleich wegen des Porzellans in die Haare geraten.«
Liam klappte sein Zigarettenetui auf und bot es ihr an. »Duell mit zwei Handtaschen.«
Maia lachte und beugte sich vor, damit Liam ihr Feuer geben konnte. Ihr Blick fiel auf die Schlagzeile der Zeitung: »Immer noch keine Spur von entführtem Säugling«. Das Kind war ausgerechnet in Ely entführt worden. In Ely passierte nie etwas.
Sie reichte Liam ein Glas. »Nur einen kleinen. Ich weiß, du willst bald nach Hause. Was macht Roisin?«
Liam strahlte vor väterlichem Stolz. »Ach, sie ist ein Wonnekind. Ganz ihre Mutter, Gott sei Dank, aber blaue Augen hat sie.« Er lächelte. »Du mußt unbedingt kommen und sie dir ansehen. Am Sonntag vielleicht?«
»Gern, Liam. Ich würde mich freuen.« Sie kramte in den Papieren auf ihrem Schreibtisch. Dann sagte sie: »Liam, ich würde gern etwas mit dir besprechen.«
Zu Hause arbeitete Maia den Abend durch. Im Hintergrund lief leise das Radio, während sie die Einnahmen mit denen vom Schlußverkauf des vergangenen Jahres verglich. Sie hatte einen Tisch auf die Terrasse stellen lassen, um den Garten vor sich zu haben, dessen Farben im Zwielicht langsam verblaßten. Einmal legte sie ihre Lesebrille weg und dachte an Hugh, der sie hier draußen gebeten hatte, seine Frau zu werden. »Es kommen noch viele Sommer«, hatte Hugh gesagt, aber für ihn würde es keinen mehr geben. Hugh war in Spanien gestorben, und manchmal, spät am Abend, wenn sie ein oder zwei Gläser getrunken hatte, meinte Maia seine Anwesenheit zu spüren und glaubte, wenn sie nur rasch genug hinsehen würde, würde sie einen Blick auf ihn erhaschen. Doch Hughs Geist war im Gegensatz zu Vernons ein wohlwollender. Er kam gütig und liebevoll zu ihr, und sie wußte, wenn er einmal für immer gehen würde, würde sie ihn vermissen.
Am folgenden Morgen um halb zehn läutete das Telefon. Maia, die in der Eingangshalle stand, trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, während es im Hörer rauschte und knackte. Jemand versuchte, sie von einem öffentlichen Fernsprecher aus anzurufen.
»Mrs. Merchant? Spreche ich mit Mrs. Merchant?«
Sie erkannte die Stimme nicht. »Ja, hier spricht Maia Merchant«, antwortete sie. »Wer spricht bitte?«
»Julius Ferguson.«
Einen Moment lang hörte
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