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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sie wieder nichts als Knacken und Knistern, während der Anrufer auf diverse Knöpfe drückte.
    »Helens Vater?«
    »Ja, Mrs. Merchant.« Seine Stimme klang gereizt, als wäre er verärgert über die Schwierigkeiten im Umgang mit dem ihm unvertrauten Telefon.
    Maias Ungeduld schlug in Besorgnis um. »Geht es Helen nicht gut?«
    »Doch. Nein. Ich weiß es nicht. Ist sie bei Ihnen, Madam? Ist sie in Cambridge?«
    Maia runzelte verwirrt die Stirn. »Helen? Bei mir? Aber nein –«
    »Sie ist seit zwei Tagen nicht mehr zu Hause gewesen. Ich dachte, sie wäre vielleicht …« Er sprach nicht weiter, und das unbehagliche Schweigen dehnte sich in die Länge. »Ich kann mir nicht vorstellen, wo sie sein könnte.«
    Maia sagte: »Vielleicht ist sie bei den Summerhayes. Sie hat ja Richard und Daisy sehr gern.«
    »Ich bin gestern abend mit dem Fahrrad nach Blackmere gefahren, Mrs. Merchant. Mrs. Summerhayes hat sie nicht gesehen.« Zum erstenmal hörte Maia Angst und nicht Mißbilligung in der unklaren, verzerrten Stimme.
    Sie sagte: »Mr. Ferguson –«, aber da begann es wieder zu rauschen und zu knistern, und dann war es plötzlich still. »Mr. Ferguson«, wiederholte Maia laut, aber es kam keine Antwort.
    Einen Moment stand sie da und überlegte, was sie tun sollte. Dann ließ sie sich von ihrem Mädchen Seidenschal und Sonnenbrille bringen und lief zu ihrem Wagen hinaus. Sie fuhr sehr schnell aus Cambridge hinaus und weiter durch die Fens, die trostlos wirkten in ihrer Verlassenheit, nichts als schmale, staubige Straßen, öde Moorwiesen, über denen Mückenschwärme summten, windschiefe kleine Häuser. In der Hitze schien der Himmel sich gesenkt zu haben, als wollte er die Erde gleich erdrücken.
    Unter den Rädern ihres Wagens wirbelten Staubwolken auf, als sie ins Dorf hineinfuhr. Gleich darauf sah sie den Mann, der aus dem Garten des Pfarrhauses kam und die Pforte hinter sich schloß. Sie kannte Adam Hayhoe von zahlreichen Dorffesten. Hart stieg sie auf die Bremse, der Wagen kam quietschend zum Stehen, und sie beugte sich aus dem Fenster.
    »Mr. Hayhoe?«
    Er nickte und hob die Hand an seine Mütze.
    »Ist Helen –?« begann sie und sah beunruhigt und enttäuscht, daß seine Augen nur ihre eigene Besorgnis spiegelten.
    »Helen ist nicht zu Hause, Mrs. Merchant. Keiner hat sie seit Dienstag morgen gesehen.« Adams Ton war erbittert.
    »Mein Gott.« Maia öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. »Ihr Vater hat mich heute morgen angerufen.«
    »Zwei Tage!« Adams Augen waren dunkel vor Zorn. »Er hat zwei Tage gewartet, ehe er etwas unternommen hat! Weil er Angst hatte, was die Leute sagen könnten …«
    Sie starrte ihn an, während sie krampfhaft überlegte, wo Helen sein könnte. »Bei Dr. Lemon vielleicht – Helen ist doch mit der Familie befreundet …«
    Adam schüttelte den Kopf. »Da hab ich's schon versucht, Mrs. Merchant. Ich bin heute morgen mit dem Gemüsehändler im Wagen rübergefahren. Die Lemons haben sie nicht gesehen.« Er fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar, das grau zu werden begann. »Und ich war auch bei der Polizei. Sie haben mir versprochen, sich darum zu kümmern, aber sie jagen natürlich alle dem entführten Kind hinterher. Der Polizist meinte, sie wäre wahrscheinlich mit irgendeinem jungen Mann durchgebrannt.«
    Maia flüsterte: »Sie wirkte in letzter Zeit so unwohl. Sie war so unglücklich. Ich habe Angst …«
    Adams Blick war düster. »Ich werde sie finden, und wenn ich jeden Bach und jeden Graben selbst absuchen muß.«
    Maia fröstelte. Bemüht, klar und vernünftig zu denken, sagte sie: »Ich glaube nicht, daß Helen einfach durchbrennen würde, Mr. Hayhoe. Das offene Land und die Natur machten ihr angst. Sie war viel lieber im Haus.« Und sie erinnerte sich des kleinen Zimmers auf dem Speicher, des Bücherschranks voll romantischer Liebesromane, des Ölofens, der Wiege.
    Adam Hayhoe zog einen Brief aus seiner Tasche. »Den hab ich gestern bekommen«, erklärte er. »Deshalb bin ich nach Hause gekommen. Er ist von Susan Randall.«
    »Das ist die Mutter des kleinen Jungen, den Helen so gern hat, nicht?«
    »Ja. Sie sind aus dem Dorf weggegangen, Mrs. Merchant. Und Susan hatte den Eindruck, daß Helen das sehr mitgenommen hat.«
    Maia starrte ihn an. Ein nebelhafter Gedanke formte sich in ihrem Kopf, den sie nicht recht fassen konnte: Dann wurde er klar, und sie sah die Zusammenhänge mit schrecklicher Gewißheit. Die Zeitungsschlagzeile, der Speicher, die Wiege. »O

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