Das Winterhaus
Gott!« sagte sie. »O Gott.«
Sie rannte zum Pfarrhaus, sie stieß die Pforte auf, sie zertrampelte die Blumen, die in der Hitze welk geworden waren. Sie wußte, daß Adam ihr folgte, sie hörte das Knirschen seiner Stiefel im Kies. Sie packte den Türklopfer und schlug ihn donnernd an das Holz, bis das Mädchen öffnete. Ohne ein Wort der Erklärung lief sie ins Haus, die Treppe hinauf, durch die verwinkelten Gänge.
Sie war nur einmal hiergewesen, aber sie hatte den Weg im Kopf. Sie jagte die Speichertreppe hinauf, stieß die Falltür auf und kletterte in den dunklen Speicher. Die hohen Absätze ihrer Sandaletten blieben in den Ritzen zwischen den Dielen stecken, als sie blind zwischen Kisten und alten Möbelstücken hindurchstolperte.
Dann stieß sie die Tür zu dem kleinen Zimmer am Ende des Speichers auf. Das Licht blendete sie. Sie hörte Helen sagen: »Maia. Wie nett«, als sie in die Wiege blickte und das schlafende Kind sah.
Am Abend bevor seine Einheit nach Brunete marschierte, schrieb Joe Robin einen Brief. Er nahm den Ring, den er in England gekauft hatte, aus seinem Rucksack, wickelte ihn in ein Stück Stoff und legte ihn zu dem Brief in den Umschlag. Er hatte geschrieben:
»Ich wollte Dir den Ring eigentlich in England geben, aber irgendwie war es nie der richtige Moment. Ein alberner Grund, und jetzt spüre ich, wie mir der Sand durch die Finger rieselt. Wir haben so wenig Zeit miteinander gehabt. Wenn ich an die Jahre denke, die ich Dich gekannt habe, erinnert mich das an einen dieser fürchterlichen Tänze, bei denen man ständig den Partner wechseln muß. Ich wollte, es wäre zu Ende. Ich möchte stillstehen. Ich habe Angst, Robin. Ich habe Durchfall und Läuse und Schützengrabenfüße, all die prosaischsten Leiden, die man sich vorstellen kann. Aber die Angst ist das Schlimmste. Doch wenn ich weiß, daß dieser Brief in Deinen Händen ist, werde ich mich besser fühlen. Der Ring ist ein Symbol, nur ein kleines Zeichen meiner Liebe zu Dir. Ich liebe Dich so sehr, Robin. Ganz gleich, was geschieht, daran mußt Du immer denken.«
Am Abend schlich er sich hinter die Linien und suchte nach einem Verbandplatz, weil er hoffte, dort den Brief jemandem geben zu können, der Robin kannte. Am nächsten Morgen marschierten sie zu den drei Dörfern – Brunete, Villanueva del Pardillo und Villanueva de la Cañada –, die dank ihrer Lage in Dreiecksformation die Straße nach Madrid beherrschten. Die republikanische Regierung wollte versuchen, die nationalistische Armee von Madrid zurückzudrängen, damit die Faschisten die Stadt nicht weiter mit ihrer Artillerie unter Beschuß nehmen konnten. Es war die erste größere republikanische Offensive, und sie warf das britische Bataillon zurück in das Chaos und Gemetzel der Schlacht am Jarama.
Wenn Joe überhaupt einmal Zeit zu denken hatte, war ihm klar, daß das, was er bei Brunete erlebte, eine Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen war. Die republikanische Armee war dem Feind an Zahl und, schlimmer noch, an Ausrüstung weit unterlegen. Deutsche Tiefflieger – Messerschmitts – verhöhnten die Republikaner, die mit Gewehrfeuer versuchten, sie abzuschießen. Einheiten verloren ihre Kommandeure, und die Verbindungen zur Führung rissen ab, so daß jeder auf sich gestellt war. Das Chaos schien Joe ein Abbild der Hölle zu sein, ein grausames Labyrinth, in dem es keine Regeln gab und der Tod nach Belieben waltete. Als Joe mitten im heißen Kampfgetöse merkte, daß die republikanische Armee ihre eigenen Truppen bombardierte, hob er in wütender Parodie des antifaschistischen Grußes die geballte Faust zum Himmel.
Der Gestank des Todes wurde durch die schreckliche Hitze verstärkt; die langen, gefährlichen Nächte wurden durch eine bittere, trockene Kälte noch schlimmer. In den kurzen Kampfpausen, kleinen Oasen der Ruhe, wurde sich Joe bewußt, daß er ernstlich krank war. Ganz gleich, was er zu sich nahm, er gab es nach spätestens einer halben Stunde wieder von sich. Zwischen seinen Rippen waren tiefe Mulden, und die ständigen Bauchkrämpfe plagten ihn jetzt mehr als seine Angst vor dem Tod. Er hatte den Verdacht, daß er die Ruhr hatte, und wußte, daß er in ein Lazarett gehörte, aber es erschien ihm unrecht, die Geschütze und seine Kameraden im Stich zu lassen. Außerdem hatte er die Fähigkeit verloren, selbständig zu handeln; er lebte nur noch von Augenblick zu Augenblick, führte Befehle aus, bediente das Geschütz, und der Lärm und
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