Das Winterhaus
Geoffrey war längst verheiratet und hatte zwei Kinder. Die Briefe, die Robin und Maia ihr geschrieben hatten. Robin war in Spanien, und Helen hatte sich in ihrem Mansardenzimmer versteckt, als Maia das letztemal vorbeigekommen war. Es war ein schwarzer Tag gewesen, und ein Blick in den Spiegel hatte ihr genügt, um zu wissen, daß Maia sofort merken würde, daß mit ihr etwas nicht stimmte.
Das weiße Kleid, das sie zu ihrer Konfirmation getragen hatte. Einen Schnappschuß des kleinen Thomas Sewell. Sie sah zu, wie das Kindergesicht sich in der Hitze verzerrte und zerfiel. Hughs Schal, den er einmal am Haken im Vorsaal hatte hängen lassen und den sie mit schlechtem Gewissen behalten und wie einen Schatz gehütet hatte. Jemand hatte ihr erzählt, daß Hugh tot war, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, wer es gewesen war. In letzter Zeit ging in ihrem Kopf alles durcheinander. Alle ihre Aquarelle, ihre Kurzgeschichten und ihre Zeichnungen. Sie sah zu, wie die Flammen die Papiere ergriffen und in graue Aschefetzchen verwandelten, die zu den Bäumen hinaufschwebten.
Das Veilchensträußchen, das Adam Hayhoe ihr einmal mitgebracht hatte und das sie in ihrer Bibel gepreßt hatte. Die Blumen waren braun und bröckelig und zerfielen, als sie sie ins Feuer warf. Ihr Vater hatte Adam fortgeschickt, wie er alle anderen fortgeschickt hatte. Dann warf sie den gesamten Inhalt ihrer untersten Kommodenschublade ins Feuer. Die Tischdecken, die Kissenbezüge, die Handtücher und Lavendelsäckchen – all die Dinge, die sie seit ihrer Jungmädchenzeit für ihr eigenes Heim zusammengetragen hatte. Sie wußte jetzt, daß sie niemals heiraten, daß sie niemals ein eigenes Heim oder Kinder haben würde. Die feingearbeitete Stickerei wurde braun von der sengenden Hitze, der getrocknete Lavendel färbte sich zischend schwarz. Es war fast dunkel. Helen stand lange vor dem Feuer und starrte in die orangeglühenden Funken, während alles, was von ihren Hoffnungen geblieben war, durch die drückend heiße Luft davontrieb.
In dieser Nacht schlief sie überhaupt nicht. Sie kniete am Fenster und sah zum mondbeschienenen Garten hinaus, zum Dorf und den Feldern und Wiesen dahinter. Die Nelken und der Phlox waren grau im Morgengrauen, und als es dämmerte und lange Lichtstrahlen die Fens erleuchteten, sah sie, wie leer alles war, wie einsam.
Sie stand auf, kleidete sich an und ging in die Küche hinunter. Sie war mit ihrer Gemeindearbeit im Verzug. Sie holte den großen Kasten mit den Briefen und dem Schreibpapier und begann zu schreiben. Als sie ihre Briefe noch einmal durchlas, schienen sie ihr keinen rechten Sinn zu ergeben, aber sie beschriftete und frankierte die Umschläge dennoch. Percy hockte sich eine Weile auf ihren Schoß und schnurrte. Dann sprang er zu Boden und kratzte an der Tür, weil er hinausgelassen werden wollte.
Als Ivy um halb sieben kam und sich über ihre Füße jammernd mit Papier und Streichhölzern vor den Ofen kniete, half Helen ihr, das Frühstück zu machen. Porridge und Schinken und Eier und Tee und Toast. Sie trank eine Tasse Tee und zerriß eine Scheibe Toast in kleine Fetzen. Als sie Wasser ins Becken laufen ließ, um abzuspülen, blickte sie abwärts und sah ihr Spiegelbild. Wassertropfen fielen von ihrer nassen Hand in die glasglatte Wasseroberfläche, und ihr Bild zersprang in tausend wabernde Bruchstücke.
In Ely war Markttag. Helen setzte sich an den Tisch und versuchte eine Liste zu machen. Sie bat ihren Vater um etwas Haushaltsgeld und rückte vor dem Spiegel sorgfältig ihren Hut auf ihrem ungekämmten Haar zurecht. Sie wußte, daß irgend etwas mit ihr vorging, etwas Schreckliches und Unkontrollierbares, ein Zerfall des Geistes ähnlich dem Zerfall ihres Spiegelbilds im Wasser des Beckens. Aber sie wußte nicht, was sie dagegen tun sollte. Sie wußte nicht, wie sie die Scherben wieder kitten sollte.
Im Bus, auf der Fahrt von Thorpe Fen nach Ely, sang sie vor sich hin. Hauptsächlich alte Kirchenlieder und die Madrigale, die sie mit den Summerhayes gesungen hatte. Sie bemerkte, daß einige der anderen Leute im Bus sie anstarrten, und lächelte ihnen freundlich zu, aber sie sahen weg. Der Bus rumpelte über die schmalen, staubigen Straßen. Zu beiden Seiten waren Felder und Bäche und Moor, so weit das Auge reichte. Die Leere, die ungeheure Weite machte Helen angst.
In Ely wanderte sie mit ihrem Korb in der Hand eine Weile unschlüssig umher. Sie hatte ihre Einkaufsliste auf dem Küchentisch
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