Das Winterhaus
aus ihrer Rille und rutschte über die Platte, und es war still.
Später am Abend gingen sie zu dem Hain aus Korkeichen und Wacholder am Ende des Parks. Ein Bach floß unter den Bäumen hindurch, und in der stillen grünen Abgeschlossenheit des Wäldchens umfaßte Robin Joes Gesicht mit beiden Händen und begann ihn zu küssen. Zuerst zog er sie an sich, aber dann trat er plötzlich von ihr weg. »Nein.«
»Joe …«
»Ich bin völlig verlaust. Gestern hab ich versucht, die Biester loszuwerden, aber es ist mir anscheinend nicht gelungen.«
»Oh, ich weiß, wie man Läuse los wird«, sagte sie und begann sein Hemd aufzuknöpfen. »Ich hab da einen Haufen Übung.« Sie streifte ihm das Hemd ab und ließ es auf das sandige Ufer des Bachs fallen. Dann öffnete sie die Schnalle seines Gürtels. Sie hörte ihn stöhnen. Da gab sie ihm einen kleinen Stoß, und er plumpste rückwärts ins Wasser.
Als er sich schüttelnd wieder hochkam, sprang auch sie hinein, durchstieß das kalte Wasser, und dann schwamm er ihr entgegen und zog sie in seine Arme. Sie sanken unter die Oberfläche und sahen nur das dämmrige grüne Licht der Sonne, ehe sie ein paar Sekunden später atemlos vor Wonne wieder auftauchten.
Helen stand im Wohnzimmer der Randalls und sah zu, wie Michael das Päckchen öffnete, das sie ihm mitgebracht hatte. Mit seinen kleinen drallen Händchen riß er das Seidenpapier auf und lachte, als er den Ball entdeckte, der in dem blauen Tuch eingebettet war. Sofort lief er in den Garten hinaus und rollte den Ball den Weg entlang.
Susan Randall hob den Matrosenanzug auf, den er zu Boden hatte fallen lassen. »Der ist ja süß, Helen. Und die schöne Stickerei.« Sie faltete den Anzug sorgfältig und legte ihn wieder in das Seidenpapier. Dann sagte sie zögernd: »Helen, ich bin froh, daß du heute gekommen bist.«
Durch die offene Tür beobachtete Helen den kleinen Jungen beim Spiel im Garten. Susan setzte sich neben sie und legte ihre dünne, knochige Hand auf Helens Arm.
»Weißt du noch, ich hab dir doch erzählt, daß wir versuchen, den Hof zu verkaufen. Jetzt haben wir endlich einen Käufer gefunden. Ausgerechnet einen Künstler. Er sagte, er will in den Nebengebäuden Töpfer- und Webereiwerkstätten einrichten. Wenn ich mir das vorstelle – unser alter Schweinestall als Töpferei!«
Helen lächelte flüchtig. Michael rannte jetzt mit dem neuen Ball in der Hand zwischen den Kräuterbeeten umher. Die späte Nachmittagssonne warf lange bläuliche Schatten auf die Gartenwege.
»Na ja, und morgen ziehen wir nun um, Helen. Wozu lange warten? Die Möbel werden mit dem Haus verkauft, und Sam ist schon beim Packen.«
Sie sah, daß Helen endlich aufmerksam wurde.
»Ihr zieht zu deiner Schwägerin?«
»Ja. In der Nähe von Lincoln.«
Der Ausdruck von Freude und Erregung in Helens Gesicht überraschte Susan.
»Und Michael?«
»Michael?« Leicht verwirrt warf Susan einen Blick in den Garten, wo ihr jüngster Kapuzinerkresse ausriß und an den Blättern knabberte. »Michael wird sich schnell eingewöhnen. Für ihn wird es dort sehr schön sein – ein großer Garten und keine schmalen Stiegen wie hier. Ich mach mir mehr Sorgen um Lizzie. Sie muß die Schule wechseln.«
Helen starrte sie an. »Ihr nehmt Michael mit?«
»Aber natürlich.« Susan sah Helen an, und etwas von dem Unbehagen, mit dem sie dieses Gespräch begonnen hatte, kehrte zurück.
»Ich dachte …« Helen stand auf und ging zur offenen Tür. »Ich dachte, daß im Haus deiner Schwägerin vielleicht nicht genug Platz für zwei Familien ist … und es geht dir ja auch nicht gut …«
»Sarah und Bill hatten keine Kinder. Sarah freut sich schon auf die Kleinen. Und mir wird es bestimmt guttun, nicht alles allein machen zu müssen. Da bin ich sicher im Nu wieder auf den Beinen.«
Helens Gesicht war sehr bleich. Sie drehte eine Haarsträhne um ihren Finger. Susan ging zu ihr und umarmte sie.
»Du mußt uns besuchen kommen, Helen. Lincoln ist ja nicht weit. Und Michael wird glücklich sein, dich zu sehen.«
An diesem Abend machte Helen ein großes Feuer im Garten. Die welken Blätter und dürren Äste brannten leicht in der hochsommerlichen Hitze. Blaue Rauchwolken stiegen auf, als sie den Flammen immer neue Nahrung gab.
Die Andenken und das Tagebuch ihrer Mutter. Ihre eigenen Puppen und ihren Teddybären. Die Gedichte, die sie vor Jahren geschrieben hatte, als sie noch ein Mädchen gewesen war, und von denen sie Geoffrey Lemon erzählt hatte.
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