Das Winterhaus
eben erst gestillt, gleich von neuem zu entfachen vermochte. Nur er kannte die Clodie, die ihre reizlose kleine Tochter wahrhaft liebte und bereit war, wie eine Löwin für das Kind zu kämpfen.
Während Clodie sich immer alberner benahm, wurde Joe zunehmend einsilbiger und brummiger. Robin versuchte zu seinem Ärger, ihn mit jener Art von Konversation abzulenken, die Leuten wie ihr so leicht von der Zunge ging und Leuten wie Clodie völlig verschlossen war. Um Bücher und Musik ging es da, um Vorstellungen, die sie hatte, und Orte, die sie gesehen hatte. Der gebräuchliche Gesprächsstoff der Mittelklasse. Der Bourgeoisie. Die Dinge, die das tägliche Leben erträglich machten, die die Gebildeten kennzeichneten und Menschen wie Clodie außen vor ließen. Das Wissen, daß auch er stundenlang über diese Dinge hätte palavern können, machte ihn nur noch zorniger.
Sie waren beim Dessert angelangt, einer schrecklichen Melange aus Sahne, Baiser und Biskuitteig. Francis unterhielt Clodie und Robin mit Anekdoten aus der Schule.
»Ich bin nur deshalb so lange durchgekommen, weil der Haustutor ein widerlicher alter Perverser war. Er hatte einen Penchant für hübsche blonde Jungen, da hatte der arme Joe natürlich keine Chance. Ich war der Liebling. Er hat mich sogar zum Vertrauensschüler gemacht.«
»Ich hatte in der Grundschule immer die Tafelaufsicht«, sagte Clodie träumerisch. Ihr sonst blasses Gesicht war rosig, und ihre Finger lagen auf Francis' Arm.
»Und du, Robin? Vertrauensschülerin?«
»Robin war bestimmt Klassensprecherin«, warf Joe bissig ein. »Sie bestimmt ja über die ganze ILP Und mit ihrer Klinik macht sie es wahrscheinlich genauso. Nur bei Francis und mir hat sie sich die Zähne umsonst ausgebissen.«
Robin wurde kreidebleich. Sie sprang so heftig auf, daß ihr Löffel zu Boden fiel. Dann stürzte sie aus dem Restaurant.
Selbst Clodie verschlug es einen Moment die Sprache. Dann blickte sie auf Robins Teller und sagte: »Sie hat nicht mal ihren Pudding gegessen.«
Joe lief ihr nach. Er hatte sie treffen wollen, aber nicht so schmerzhaft.
Ihren Namen rufend, holte er sie ein, ehe sie den Untergrundbahnhof erreichte, und als sie einfach weiterlief, faßte er sie am Ärmel.
Sie wirbelte herum. »Laß mich einfach in Frieden, ja!«
Er war außer Atem. Sie riß sich wieder von ihm los. Er war sich bewußt, daß er ungerecht gewesen war, daß er seinen Ärger und seine Enttäuschung über Clodie an Robin ausgelassen hatte, und schämte sich ein wenig.
»Robin – Herrgott noch mal – es tut mir leid.«
Sie verschränkte abwehrend die Arme und sagte stolz: »Es ist nicht deine Schuld.«
Joe glaubte ihr nicht. »Ich war einfach schlecht gelaunt«, erklärte er. »Ich hatte einen schlimmen Tag … und Clodie …«
»Es ist nicht deine Schuld«, wiederholte sie. »Es ist meine eigene Schuld.«
Er starrte sie an. Sie wirkte so unglaublich jung, so unglaublich unschuldig. Er bemühte sich ehrlich, sie zu besänftigen.
»Was ich eben gesagt habe, daß du über jeden bestimmst –«
»Daß ich alle herumkommandiere, meinst du, Joe.«
Er wollte etwas sagen, aber sie fiel ihm ins Wort.
»Ja, du hast natürlich recht. Ich bestimme gern über andere. Ich bin herrschsüchtig. Ich wußte nicht –« Sie brach ab, und er glaubte, sie würde wieder weglaufen. Aber dann begann sie plötzlich sehr schnell zu sprechen. »Vor ein paar Monaten habe ich eine wirklich nette Frau kennengelernt, Joe. Sie heißt Nan Salter und wohnt in einem kleinen Haus in Stepney. Sie war furchtbar nett zu mir, als ich mit dem Fahrrad gestürzt bin. Na, kurz und gut, sie hat sieben Kinder, und ich dachte … Ich hab sie überredet, in die Freie Klinik zu gehen. Damit sie nicht noch ein achtes Kind bekommen würde. Ich habe ewig dazu gebraucht, sie zu überreden, aber am Ende hab ich es geschafft. Ich habe ein Talent dafür, andere zu bereden, Joe – nicht soviel wie Francis, aber doch genug. Vor ein paar Wochen ist sie dann mit mir in die Klinik gegangen, und die Schwester hat ihr ein Diaphragma eingesetzt und ihr genau erklärt, wie sie damit umgehen muß. Dann habe ich sie eine Weile nicht gesehen, und heute, nach der Arbeit, wollte ich mal bei ihr vorbeischauen …«
»Und?« fragte Joe neugierig.
Ihre Stimme war tonlos, als sie zu sprechen fortfuhr. »Und sie hatte ein blaues Auge und überall im Gesicht blaue Flecken, weil ihr Mann das Diaphragma gefunden hatte und sagte, so was wäre gegen die Natur und außerdem
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