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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Sich ihrer inneren Verwirrung und Unausgeschlafenheit bewußt werdend, stopfte Robin dann den Brief wieder in ihre Tasche und schloß die Augen.

4
     
    Maia hatte das Gefühl, in einem Alptraum zu leben. Einem anderen Alptraum als der, den sie nach dem Tod ihres Vaters durchgemacht hatte, aber dennoch ein Alptraum. Es konnte geschehen, daß er sich zurückzog – manchmal eine ganze Woche lang oder auch zwei – und alles normal wurde und sie wieder das Leben führte, das sie gewählt zu haben geglaubt hatte. Mrs. Vernon Merchant mit dem reichen Ehemann und dem großen Haus und den vielen Dienstboten. Aber dann zerplatzte das alles plötzlich, und sie war wieder mitten in dem Alptraum, in dem ihr das Haus wie ein Gefängnis erschien und der Schmuck und die prächtigen Kleider und Pelze wie Fesseln. Im allgemeinen achtete sie darauf, zumindest nach außen als die gefügige, gehorsame Ehefrau zu erscheinen, die, wie sie manchmal immer noch glaubte, Vernon haben wollte. Sie fürchtete körperlichen Schmerz, vor allem aber fürchtete sie Vernons Zugriff auf ihre Seele. Es war, als hätte sie etwas in ihm freigesetzt, etwas Schreckliches, das nicht schwächer, sondern immer stärker wurde. Sie war sich nie sicher, ob das, was er ihr antat, sie stärker verletzte als seine Worte. Als sie begann, die Fragmente zu sammeln, die Dinge zusammenzusetzen, die er ihr in jenen grauenhaften Momenten des Alleinseins mit ihr aus seiner Vergangenheit erzählte, wurde ihr klar, daß dies der wahre Vernon war, daß der Mann, den sie zu heiraten geglaubt hatte, niemals existiert hatte. Allmählich begriff sie, daß es ihm ein Bedürfnis war, sie zu verletzen und zu erniedrigen. Daß er nicht nur sie verachtete, sondern jede Frau. Daß seine Verachtung für sie ein grundlegender, unveränderlicher Teil von ihm war.
    Jedesmal wenn er ihr zu nahe trat, fühlte sie sich etwas weniger wie Maia Merchant, eine schöne, kluge und weltgewandte Frau, und ein bißchen mehr wie ein gebrochenes, haltloses Geschöpf aus seiner Hand. Einmal, als er sie wegen einer Kleinigkeit zwang, ihn auf Knien um Verzeihung zu bitten, wäre sie beinahe aus dem Haus gelaufen, weil sie spürte, daß er ihre Persönlichkeit vielleicht zertrümmern würde, wenn sie blieb. Aber sie war doch geblieben, weil sie wußte, daß die Sicherheit, die Vernons Reichtum ihr gab, für sie wesentlich war: ohne sie konnte sie nicht leben. Eine Scheidung würde ihren Ruf und ihre Zukunft ruinieren. Wieviel besser wäre es, dachte Maia oft, Witwe zu sein.
    Als Joe in die Butler Street einbog, sah er einen Mann aus Clodies Haus kommen und im Nebel verschwinden. Joe klopfte an die Tür. Lizzie machte ihm auf, und er nahm sie in seine Arme, hob sie hoch und küßte sie auf den Scheitel: »Schau in meine Tasche.«
    Lizzie griff in seine Jackentasche und zog ein Päckchen Brausepulver heraus. Sie krähte vor Entzücken. Joe sah zu Clodie hinüber, die an ihrer Nähmaschine saß.
    »Wer war das?«
    »Wer war wer?« Sie versuchte einzufädeln.
    »Der Mann, den ich eben hier rauskommen gesehen hab.«
    »Ach, der.« Sie klang uninteressiert. »Irgendein Vertreter. Er wollte mir eine Waschmaschine verkaufen. Konnte ich mir natürlich gar nicht leisten.«
    »Warte, ich mach das.« Clodie war weitsichtig. Joe nahm den Faden und schob ihn durch das Nadelöhr.
    »Du solltest dir eine Brille besorgen.«
    »Was? Und aussehen wie meine eigene Oma? Nie im Leben.« Aber sie schien nicht ärgerlich zu sein.
    Als sie das Rad der Nähmaschine andrehte und den Faden von der Spule heraufholte, murmelte er: »Du hast mir so gefehlt, Clodie.«
    Ihr Blick flog zu Lizzie, die ihr Brausepulver lutschte. »Hat Mrs. Clark nicht gesagt, daß du heute nachmittag zu Edith zum Spielen kommen darfst, Schätzchen?«
    Lizzie rannte zur Tür hinaus. Clodie stand auf.
    »Du hast mir auch gefehlt, Joe.« Sie begann sein Hemd aufzuknöpfen.
    Sie liebten sich auf dem Teppich vor dem offenen Kamin, hitzig und ungeduldig, unfähig zu warten. Und dann noch einmal, langsam, jeden Moment auskostend, die Lust so lange wie möglich in die Länge ziehend. Danach füllte Joe die Zinkwanne mit Wasser, und sie badeten zusammen. Als er ihre weißen, schweren Brüste, blaugeädert wie Marmor, einseifte, erwachte Joes Verlangen von neuem.
    Aber Clodie schob ihn mit einem Blick auf die Uhr weg und sagte: »Ich kann dich leider nicht zum Abendessen einladen – ich hab nur zwei Heringe da.«
    Er trocknete sich ab, kleidete sich an und

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