Das Winterhaus
auf, bevor du ins schwarze Verhängnis stürzen kannst.«
Sie lachte. In der einen Hand die Kerze haltend, mit der anderen ihren Rock raffend, stieg sie die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt wurde die Dunkelheit dichter; die Kerzenflamme war klein und unscheinbar inmitten der ungeheuren Schwärze. Sie hatte das Gefühl, die Mauern rückten immer näher zusammen, als würde die Kälte unerträglich werden und Eis auf dem kalten Stein zu wachsen beginnen.
Aber dann roch sie plötzlich die frische Luft und sah über sich den weiten Himmel.
Sie waren auf dem Dach, umgeben von den Wänden und Balustraden eines kleinen steinernen Gebäudes. Ein steinerner Tisch stand in der Mitte des kreisrunden Raums, und die großen Fenster waren unverglast, verschleiert nur von der Nacht.
»Oh, Francis!«
Sie erinnerte sich, wie ihr zumute gewesen war, als sie das Winterhaus entdeckt hatte, einen Ort, der ihr allein gehörte.
»Schön, nicht? Ich liebe es.«
Er lehnte an der Balustrade, sein Profil vom Lichtschein der Kerze umrissen.
»Hier oben haben sie früher ihren Nachtisch gegessen. Kannst du dir das vorstellen? Mit Pudding und Vanillesoße bis aufs Dach hinaufzuklettern.«
Robin lachte.
»Wir haben es einmal versucht. Ich hab eine Cremespeise gemacht, und Joe und ich haben sie wie alte elisabethanische Ritter hier raufgetragen. Leider hatten wir beide zuviel getrunken und haben sie auf der Treppe fallen lassen.«
»Es ist wunderschön hier oben, Francis.« Sie stellte sich neben ihn und stützte die Arme auf die Balustrade, während sie in die Dunkelheit hinaussah. Sie kniff die Augen zusammen. »Aber das Meer kann ich nicht sehen.«
»Es ist zu wolkig. Da draußen schneit es wahrscheinlich schon.« Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander, dann sagte Francis: »Wo warst du, Robin? Du bist nicht zu einer einzigen Versammlung gekommen und hast dich bei uns zu Hause auch nicht blicken lassen.« Sein Ton war eher neugierig als vorwurfsvoll.
Sie antwortete ausweichend: »Ich hatte eine Menge zu tun.«
»Du bist so – unberechenbar. Wir haben dich vermißt, weißt du. Ich habe dich vermißt.«
»Ich habe euch auch vermißt, Francis. Ganz schrecklich.«
Er berührte leicht ihr Gesicht. »Wie dumm von uns beiden dann.« Und er neigte seinen Kopf und küßte sie leicht auf den Mund.
»Tolles Kleid. Tolles Parfüm.« Im Badezimmer hatte eine Flasche L'Aimant gestanden, und sie hatte ein paar Spritzer gestohlen. Sie wünschte sich, er würde sie noch einmal küssen.
»Robin, du Liebe – glaubst du, du könntest mich ein bißchen lieben?«
Sie sah ihn verblüfft an und sagte ziemlich zittrig: »Ich habe wirklich keine Ahnung, Francis.«
Er zwinkerte, dann lachte er. »Du kannst manchmal wirklich bis zur Schmerzgrenze ehrlich sein, Robin.«
Sie sah, daß es zu schneien angefangen hatte. Die Flocken schwebten wie Distelwolle durch die dunkle Luft. Francis hielt sie in den Armen, aber ihr war plötzlich kalt, und als er sie näher an sich zog, drückte sie sich an ihn, während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.
Um drei Uhr morgens war Joe in der Küche und versuchte den Herd zu reparieren. Die Küche von Long Ferry war riesengroß und altmodisch, der Herd ein mächtiger eiserner Kasten mit zahllosen Knöpfen und Türchen und kleinen Schubladen und Heizplatten. Vivien stand hinter Joe und sprach ihm Mut zu.
»Er ist noch warm, das ist das Problem.« Joe öffnete eine der Türen und spähte hinein. »Diese alten Dinger brauchen Tage zum Abkühlen.«
»Paß nur auf, daß du dich nicht verbrennst, Darling.«
Er hob eine Schublade heraus, die voller Asche war, und entleerte sie in einen Eimer.
»Wird der eigentlich nie saubergemacht?«
»Die Köchin weigert sich, seit sie's mit dem Rücken hat. Und ich hab's zwar versucht, Darling, aber für solche Dinge habe ich nun mal kein Talent.«
Vivien hatte noch ihr Abendkleid an, einen engen Schlauch aus seegrünem Satin mit Federn. Joe stellte sich vor, wie sie die Kohle mit einer Zuckerzange in den Ofen legte, immer nur ein Stück.
»Nein … ich versuch's mal, Vivien. Ich glaube, er ist nur verstopft.«
»Weißt du, wenn wir nicht kochen können… Ich liebe dieses Haus ja wirklich sehr, aber das wäre einfach unerträglich.«
Er sagte tröstend: »Diese alten Öfen gehen im Grunde nie kaputt. Sie brauchen nur ab und zu ein bißchen Pflege.«
»Wie wir alle, Darling.«
»Mist!« Er hatte sich den Finger an einem Stück heißen Metall verbrannt. Er schüttelte
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