Das Winterhaus
die Hand und lutschte dann an der Blase. »Laß mich das machen.« Vivien drückte ihren kleinen roten Mund auf seinen Finger. Sie sah zu ihm auf.
»Besser, Darling?«
Immer noch hielt sie ihn mit ihren kleinen, kühlen Händen fest. Langsam zog sie seine Hand näher, bis sie auf ihrer Brust lag. Sein Herz begann zu hämmern. Seit dem Abend im Restaurant hatte Clodie sich ihm entzogen. Sein Körper hatte sich an sie gewöhnt, sehnte sich nach ihr.
»Wir haben uns schrecklich lange nicht gesehen, nicht wahr, Joe?« flüsterte Vivien. »Früher warst du Francis' kleiner Freund … schon damals warst du natürlich hinreißend. Aber jetzt bist du schrecklich …«
Er stand auf und wand seine Hand los. Ihre Finger wanderten seine Brust hinunter zu seinem Oberschenkel. Sie zog ihn an sich, und als sie ihn küßte, spürte er ihre Zunge in seinem Mund. Er konnte eine Reaktion nicht unterdrücken.
»Weißt du, ich glaube, du sprichst die Mutter in mir an, Joe, Darling. Ich bin nicht gerade eine wahnsinnig mütterliche Frau, aber dich möchte man hegen und pflegen und verwöhnen …« Sie rieb ihren Körper an seinem. Sie fühlte sich anders an als Clodie, so klein und geschmeidig und sehnig.
Dann trat sie plötzlich von ihm weg. »Wirklich ganz reizend von dir, Joe«, sagte sie laut, »daß du den Herd reparierst«, und als er sich umdrehte, sah er Denzil Farr an der Küchentür.
»Aber jetzt solltest du lieber gehen«, fügte Vivien hinzu. »Es ist spät, und wir möchten doch alle zu Bett gehen, nicht wahr, Darling?«
Als Robin am nächsten Morgen erwachte und zum Fenster lief, sah sie, daß über Nacht eine dünne Schneeschicht alles zugedeckt hatte. Ausnahmsweise erinnerte sie der Schnee nicht an die Nacht, in der sie von Stevies Tod erfahren hatte; sie mußte an den vergangenen Abend denken, als sie mit Francis oben in der Galerie gewesen war. Als sie in ihre Bettdecke gehüllt am Fenster stand, empfand sie jene Art ungetrübten Glücks, die für sie zum Kindsein gehörten, zu Weihnachten und Geburtstagen.
Nachdem sie sich angekleidet hatte, machte sie sich auf die Suche nach Francis. Das Speisezimmer war leer, doch als sie durch Gänge und Vorzimmer zurücklief, hörte sie aus der Küche ein Geräusch.
»Joe?«
Noch immer in der schwarzen Hose und dem weißen Hemd, die er am Abend zuvor getragen hatte, kauerte er vor dem Küchenherd. Das Hemd allerdings war nicht mehr weiß, sondern voller Kohlestaub.
»Du lieber Gott, was tust du denn hier?«
»Ich versuche dieses verdammte Ding zu reparieren.« Er wies auf den Herd. »Jetzt bin ich gleich fertig.«
»Warst du gar nicht im Bett?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht schlafen.«
»Ich suche Francis.«
»Den hab ich noch nicht gesehen.«
»Oh – gibt's was zu frühstücken?«
Sie machten Toast und Tee und setzten sich an den großen hölzernen Küchentisch. Keiner der anderen Gäste ließ sich sehen, und auch die Köchin blieb unsichtbar. Das Geschirr vom vergangenen Abend stapelte sich im Spültisch.
Joe gähnte und streckte sich. »Wir könnten eine kleine Spritztour machen, wenn du Lust hast, Robin.«
Sie sah auf die Uhr. Es war noch nicht einmal neun. »Ans Meer?«
Er nickte. »Gib mir fünf Minuten – ich will mich nur rasch umziehen.«
Vivien wurde um elf Uhr vom Klopfen an ihrer Tür geweckt. Sie schlief allein; Denzil Farr hatte ihr Bett in der vergangenen Nacht geteilt, aber sie gestattete ihnen nie, bis zum Morgen bei ihr zu bleiben. Da wurden sie immer gleich so besitzergreifend, und außerdem nahmen Männer einem soviel Platz weg. Und sie hätte die Flanellnachthemden und die Bettsocken nicht anziehen können, die man unbedingt brauchte, um die Winternächte in Long Ferry Hall zu überstehen.
»Wer ist da?« rief sie, und Francis antwortete ihr.
»Ich bin's, Vivien.«
»Einen Augenblick, Darling.« Sie schlüpfte in einen Morgenrock und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Dann ließ sie ihn ein. Er trug ein Tablett. »Ich dachte, wir könnten zusammen frühstücken.«
»Eine herrliche Idee.« Er hatte Kaffee und Toast und Orangen auf dem Tablett. Er begann die Orangen auszupressen, während Vivien den Kaffee einschenkte.
»Ich weiß, es ist unverschämt früh, Vivi, aber wenn wir nicht jetzt reden, wirst du das ganze Wochenende von diesen gräßlichen Leuten umgeben sein.«
Sie seufzte. »Sie sind wirklich langweilig, nicht wahr, Darling? Die Menschen scheinen immer langweiliger zu werden, je älter man selbst
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