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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sich die Leute zu merken, die zu spät zur Arbeit kamen, und die Namen derjenigen aufzuschreiben, die mittags länger als die vereinbarten fünfundvierzig Minuten ausblieben. Die Firma Merchant hatte über einhundert Angestellte. Maia war entschlossen, dafür zu sorgen, daß jeder einzelne dieser hundert Menschen genau wie sie selbst mit vollem Einsatz für den gesunden Fortbestand der Firma Merchant arbeitete.
    »Und was die Werbung angeht«, Liam Kavanagh fuhr sich mit den Fingern durch das dicke, lockige Haar, »da sollten Sie nach London gehen, Mrs. Merchant. Es gibt in Cambridge niemanden, der Ihnen das bieten kann, was Sie suchen.«
    Erhitzt und außer Atem kam Robin mit Verspätung zur ILP-Versammlung. Als sie sich auf den Platz zwischen Francis und Joe schob, fielen durch das Loch in ihrer Tasche mehrere Bonbons zu Boden, und Francis flüsterte: »Du bist ganz blau.«
    Tinte aus ihrem Füllfederhalter tränkte ihre Jacke. »Ach, verdammt«, murmelte Robin. »So ein Mist.«
    Sie tupfte die Tinte mit Francis' Taschentuch ab. Joe schien zu schlafen; Francis aß eines der tintenblauen Bonbons. Um sie herum tobte die Diskussion, aber an diesem Abend konnte sie sich nicht auf sie konzentrieren.
    Am Spätnachmittag hatte sie die Familie Lewis besucht, die Leute, die das behinderte Kind hatten. Obwohl Dr. Mackenzie ihr einen Vortrag über Nichteinmischung gehalten hatte, hatte er selbst sich mit einer lokalen Wohlfahrtsorganisation in Verbindung gesetzt, um den Lewis zu helfen, und hatte es irgendwie geschafft, daß die Familie in ihrem schrecklichen kleinen Haus bleiben durfte. Mr. Lewis hatte Arbeit gefunden, und Robin hatte die Familie etwa einmal im Monat besucht, um den Kindern Süßigkeiten zu bringen und Mrs. Lewis zu helfen, die kleine Mary zu baden.
    An diesem Nachmittag hatte sie gehört, daß die Konservenfabrik, bei der Mr. Lewis Arbeit gefunden hatte, den Betrieb eingestellt und fünfzig Männer auf die Straße gesetzt hatte. In dem kleinen Reihenhaus in der Walnut Street war wieder das Chaos eingekehrt, wieder waren die Lewis mit der Miete vier Wochen im Verzug. Nach der Versammlung gingen sie immer noch debattierend die Straße hinunter zum Pub.
    »Kollektivierung«, rief Guy, als er mit einem Zehn-Shilling-Schein in der Hand an die Bar trat. »Das ist der einzige Weg. Die Früchte der Arbeit in einen Korb werfen und sie unter den Arbeitern verteilen. Stalin hat ganz recht.«
    »Du solltest in die Kommunistische Partei gehen, Guy«
    »Das hab ich vor. Die Sozialisten wollen's ja doch immer nur allen recht machen.«
    »Und der Kommunismus ist unmenschlich – der schert sich doch einen Dreck um die Rechte der Arbeiter.«
    »Das geht doch auch gar nicht, Joe. Wenn man anfängt, den Gewerkschaften Konzessionen zu machen und den Armen Stempelgeld zu geben, schiebt man nur den Tag der Revolution immer weiter hinaus.«
    Robin sah von ihrem Bier auf. »Was redest du da, Guy? Daß man die Leute verhungern lassen soll?«
    »Wenn nötig. Es ist ein Mittel zum Zweck.«
    Robin sah das Haus der Lewis' vor sich, mit seinem primitiven Mobiliar und den modrigen Wänden. »Ach, und der Zweck heiligt die Mittel, nehme ich an?«
    »So ganz unrecht hat Guy nicht, Robin.« Francis zündete sich eine Zigarette an. »All diese kleinen Maßnahmen – Sozialhilfe, Kindergeld und so weiter – sind doch nur Pflästerchen auf eine klaffende Wunde.«
    »Außerdem helfen sie sowieso nicht«, warf Joe ein. »Die Bourgeoisie pflegt seit Jahrhunderten ihre wohltätigen Einrichtungen, und trotzdem gibt es noch Arme wie Sand am Meer. Und die Geldsäcke mit ihren Zylindern und Bentleys haben das Sagen.«
    Robin war wütend. »Also sollen wir gar nichts tun?«
    Joe warf ihr einen finsteren Blick zu. »Wenn man hier ein bißchen was tut und da ein bißchen was, lullt man doch nur die Arbeiter ein, aber es passiert gar nichts. Es verändert sich nichts. Stimmt's, Guy?«
    »Absolut.« Guy wühlte in seiner Tasche. »Ach, verdammt. Ich hab fast kein Geld mehr. Mein Wechsel kommt erst nächste Woche. Du bist dran, Francis.«
    Francis kramte in sämtlichen Taschen seiner Jacke und brachte eine leere Packung Craven A zum Vorschein, eine abgegriffene Ausgabe von Chrome Yellow und eine Handvoll Münzen.
    »Schon gut«, sagte Selena und stand auf. »Ich gehe. Ich hab ein paar kleine Holzschnitte für ein Märchenbuch gemacht, ich bin flüssig. Ich muß dich unbedingt meinem Vetter Theo vorstellen, Francis. Ich hab ihm eine Ausgabe von Kaos

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