Das Winterhaus
gezeigt, und er war unheimlich beeindruckt. Er ist stinkreich und wahnsinnig kunstinteressiert.«
Robins Zorn hatte sich noch nicht gelegt. Als Selena gegangen war, um neue Getränke zu holen, sagte sie vorwurfsvoll zu Joe und Francis: »Ihr findet also, daß wir nichts tun sollten – daß wir einfach zusehen sollten, wie es immer schlimmer wird –«
Francis runzelte die Stirn. »Was kann man denn schon tun, wenn man sich's genau überlegt? Der Kapitalismus ist offensichtlich passe – überall in Europa klappen die Banken zusammen. Das System muß sich einfach ändern.«
»Und solange, bis wir das System ändern?«
»Was schlägst du denn vor, Robin? Wohltätigkeitsbasare und Benefizbankette für die Armen, die es verdient haben?« fragte Joe sarkastisch.
»Natürlich nicht! Du weißt genau, daß ich so was fürchterlich finde.«
»Private Wohltätigkeitsorganisationen dann, die nur denen helfen, die ihren Vorstellungen entsprechen –«
»Nein!«
»Oder wir könnten es auch alle so machen wie du, Robin«, sagte Joe. »Unser Mittagbrot irgendeinem Arbeiterkind schenken, dessen Vater gerade seinen Job verloren hat. Das wird die Welt bestimmt verändern.«
Sie starrte ihn sprachlos an. Er sah blaß aus, zornig und verbittert.
»Ich habe doch nur gemeint«, sagte sie schließlich, beinahe atemlos vor Zorn, »daß jeder von uns tun sollte, was er kann. Ich weiß, ich tue nicht viel, aber ich versuche es wenigstens. Ich bin mir wenigstens bewußt, daß ich eine Verantwortung habe. Ihr beide – für euch ist die Politik doch nur ein Spiel, stimmt's? Und das Leben genauso. Ihr steht draußen am Rand und laßt euch auf nichts ein. Ihr diskutiert über nichtmarxistischen Sozialismus und Trotzkismus und all die anderen Ismen und haltet euch die ganze Zeit aus allem raus und schaut zu, wie die anderen sich abstrampeln.«
Einen Moment war es ganz still. Dann stand Joe auf und ging.
Als die Tür hinter ihm zuschlug, sagte Francis: »Ich glaube, zum ersten- und wahrscheinlich zum letztenmal in seinem Leben tut es Joe leid, daß er das Familienerbe ausgeschlagen hat.«
»Was soll denn das heißen, Francis?« fragte Robin.
Francis drückte seine Zigarette aus. »Der arme Kerl hat heute erfahren, daß Clodie sich mit irgendeinem Idioten mit einem Morris Minor und einer Villa in Brompton zusammengetan hat.«
Sie starrte ihn entsetzt an. »Clodie hat geheiratet?«
Er nickte. »Joe hat sie heute morgen in der Stadt getroffen, und seitdem benimmt er sich wie ein Verrückter.«
»Ach Francis!« Robins Zorn verflog. Nur ein schlechtes Gewissen blieb zurück. »Und ich habe gesagt …« Sie sprach nicht weiter.
»Mach dir keine Sorgen. Er wird seinen Kummer ertränken, und morgen wird er sich an nichts mehr erinnern.«
»Der arme Joe. Wir müssen ihn suchen gehen.« Robin stand auf.
Francis sah sie an und seufzte. »Ich nehme an, es ist sinnlos, dich darauf aufmerksam zu machen, wie viele Pubs es hier in einem Umkreis von fünf Meilen gibt? Und daß Joe in jedem von ihnen sein könnte – oder in allen.« Stöhnend stand er auf.
Sie stöberten Joe schließlich in einem dunklen kleinen Gasthaus am Fluß auf, wo er schwankend am Tresen hing und sich mit einem bulligen Schauermann stritt. Robin zog ihn von der Bar weg, Francis spendierte dem Schauermann ein Bier. Dann lief er Joe und Robin nach und sagte: »Wir haben beschlossen, dir Gesellschaft zu leisten, Joe.«
»Hau ab, Francis.« Joe begann schwankend die Straße hinunterzugehen. Sie folgten dicht hinter ihm.
Sie streiften durch das Hafengebiet und machten einen Abstecher in jedes Pub, an dem sie vorüberkamen. Mondschein glänzte auf dem schwarzen, öligen Wasser der Themse, und kleine Wellen schlugen klatschend gegen faulende Holzstege. Als die Kneipen schlossen, hatten sie ein neues sozialistisches Manifest verfaßt, Unmengen Bier getrunken und Joe zum Lachen gebracht.
Auf dem Rückweg nach Hackney kamen sie am Haus der Lewis' vorüber.
Robin sagte leise zu Joe: »Das, was du vorhin im Pub gesagt hast, hast du doch nicht so gemeint, oder?«
Er blieb stehen und sah zu ihr hinunter. »'türlich nicht.« Er neigte sich zu ihr hinunter und küßte sie auf die Wange.
In Francis' Augen blitzte Gelächter. »Wir werden dir beweisen, daß wir gute Sozialisten sind, Robin. Welches ist das Haus, das du immer besuchst?«
Sie zeigte ihm das Haus der Familie Lewis. Sie sah, wie Francis zu Joe ging und etwas zu ihm sagte, und hörte Joe eine Erwiderung murmeln,
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