Das Winterhaus
während er in seinen Taschen suchte. Die Hand auf den Mund gepreßt, um nicht laut herauszulachen, sah sie zu, wie Francis ihr gesamtes Kleingeld durch den Briefkastenschlitz in der Haustür der Lewis' warf. Die zwei Shillingstücke, sechs Pencemünzen und Pennies klirrten, als sie drinnen auf die Fliesen fielen.
Robin traf Maia im Lyons Corner in der Oxford Street. »Du siehst fabelhaft aus, Maia. Wahnsinnig elegant.« Sie umarmte sie und küßte sie auf die Wange.
»Du siehst dafür ein bißchen spitz aus. Ich bestell dir ein Riesenessen, warte nur.«
»Zu viele durchgemachte Nächte.«
Lange Nächte und anstrengende, entmutigende Tage. Sie hatte das meiste von dem geschafft, worum Neil Mackenzie sie gebeten hatte. Sie hatte Informationen gesammelt und analysiert, und die Ergebnisse ihrer Arbeit waren in einen Aufsatz eingegangen, den sie mit Dr. Mackenzie zusammen geschrieben hatte und der im vergangenen Monat in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden war. Jetzt planten sie ein Buch. Nur in einer Hinsicht hatte sie völlig versagt. Sie konnte einfach nicht distanziert bleiben, objektive Zeugin der Not und Entbehrungen, die sie täglich zu sehen bekam. Sie mußte sich immer einmischen.
Sie suchten sich einen Tisch und setzten sich. »Ich war gerade bei unserer Werbeagentur«, berichtete Maia. »Der Mann, der für unsere Firma zuständig ist, ist einfach hinreißend. Er heißt Charles Maddox und ist groß und dunkel und sieht blendend aus.«
Schweigend studierten sie die Speisekarte. Sie hatten, dachte Robin, die ungezwungene Vertrautheit der früheren Jahre nie wiedergefunden. Maias schwierige, turbulente Vergangenheit hatte sich zwischen sie geschoben, so daß Robin sich jetzt fragte, ob sie Maia eigentlich je wirklich gekannt hatte oder ob sie nur das gesehen hatte, was Maia ihr hatte zeigen wollen.
»Maia …«, sagte sie zögernd.
Sie sah die kleine Falte, die sich zwischen Maias Brauen bildete, und vermutete, daß auch Maia sich unbehaglich fühlte. Sie und Maia, beide eigenwillig und dickköpfig, hatten früher häufig gestritten – Helen war diejenige gewesen, die sie alle drei zusammengehalten hatte. Aber jetzt glaubte Robin an Maia etwas anderes zu erkennen – eine Art Groll, den Anflug einer leichten Abneigung. Die Menschen – besonders so verschlossene Menschen wie Maia – fühlten sich in Gesellschaft jener, die ihre schlimmsten Geheimnisse kannten, selten wohl.
Doch Maia sah nur lächelnd auf und sagte: »Ja, Darling?«
Die Kellnerin wartete mit Block und Bleistift. Der Moment war vorbei. Sie konnte Maia nicht nach Vernon fragen; sie würde es niemals tun, das war ihr jetzt klar. Sie hatte Diskretion gelernt, und außerdem gab es vielleicht Dinge, die man besser nicht wußte.
»Maia – ich brauche unbedingt ein neues Abendkleid.«
Sie glaubte einen Schimmer der Erleichterung in Maias hellen, unergründlichen Augen zu sehen. Maia bestellte Salat für sich und eine Fleischpastete für Robin.
»Ein neues Abendkleid?«
»Ja, irgend etwas Todschickes. Ich weiß eigentlich überhaupt nicht, was. Bis jetzt haben immer Mutter oder Persia meine Kleider genäht, und du weißt ja, daß ich mich um diese Dinge nie besonders gekümmert habe.«
Robin sah Maias Blick zu ihrem Wollpullover mit dem Loch im Ellbogen und ihrem alten schwarzen Faltenrock.
»Nein …«, sagte Maia langsam. »Deine Haare sehen aus, als hätte sie jemand mit Brotmesser abgesäbelt, Darling. Du brauchst wirklich mal einen anständigen Schnitt. Ich geb dir eine Adresse. Der Mann ist wirklich fabelhaft.«
»Ich gehe dauernd auf irgendwelche Feste und Tanzereien, und ich kann nicht immer dasselbe Kleid tragen. Vielleicht sollte ich mir so einen Satinfummel kaufen.«
»Schräg geschnitten, mit Spaghettiträgern?« Maia schüttelte den Kopf. »Dafür bist du nicht groß genug.«
Die Kellnerin brachte ihr Essen. Maia sagte: »Ich finde schon etwas für dich, sonst kaufst du bestimmt den erstbesten häßlichen Fetzen, den du siehst. Ich schicke dir was ganz Schickes, Robin.« Maia goß Marinade über ihren Salat und wechselte das Thema.
»Erzähl mir von deinem Freund, Darling. Francis. Er strotzt hoffentlich vor Sex-Appeal?«
Das Pfarrfest von Thorpe Fen, das stets im September stattfand, war für Helen jedes Jahr eine neue Qual. Alle Dorfbewohner kamen, solche, die regelmäßig zur Kirche gingen, und solche, die es nicht taten; die Familien aus den heruntergekommensten Hütten und von entferntesten Höfen.
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