Das Winterhaus
Riesige Mengen süße Brötchen, Sandwiches, Götterspeise und Kuchen wurden vertilgt. Jedes Jahr mußte Helen entscheiden, ob sie die Klapptische im Pfarrhaus aufstellen sollte oder im Garten. Angesichts grauer Himmel und drohender Wolken an diesem Morgen war Helen lange unschlüssig gewesen. Es war praktischer, das Fest im Freien abzuhalten statt in den düsteren Räumen des Pfarrhauses; da konnten die Kinder nach Herzenslust toben, und die Vögel würden die Krümel aufpicken. Schließlich hatte sie einfach auf ihr Glück vertraut und den Gärtner und seinen Helfer angewiesen, die Tische auf dem Rasen aufzustellen. Leider mußte sie gegen Mitte des Nachmittags erkennen, daß sie die falsche Entscheidung getroffen hatte. Die Wolken wurden finsterer, und ein ziemlich starker Wind blies über die Fens, der immer wieder grauen Nieselregen mitbrachte. Die Gartenwege wurden matschig und rutschig, und der Rasen, von zahllosen Nagelstiefeln niedergetreten, war bald nur noch ein Morast.
Helen und eine Schar Helferinnen eilten geschäftig hin und her, trugen frische Kuchen und Sandwiches heraus, füllten Tassen mit Tee. Es war ein Glück, dachte Helen, daß die Brote von den Tellern gerissen und in die Münder gestopft wurden, bevor der Regen sie durchweichen konnte.
Eines der Dockerill-Kinder bat um mehr Limonade. Helen, die mit einem schweren Zinnkrug aus der Küche kam, rutschte auf einem glitschigen Grasbüschel aus. Der Krug flog ihr aus der Hand, die Limonade ergoß sich über zwei kleine Kinder, und Helen selbst plumpste einem Schweinezüchter in den Schoß. Als sie sich mühsam wieder hochrappelte, hörte sie ihn sagen: »Das beste Pfarrfest seit Jahren!« und sah, daß er ihren Busen anstarrte. Der oberste Knopf ihrer Bluse hatte sich geöffnet. Helen wurde puterrot und wäre vor Verlegenheit am liebsten in den Boden versunken. Adam Hayhoe murmelte: »Halt dein schmutziges Mundwerk, Elijah Readman«, während sie unter den Tisch krabbelte, um den Krug zu suchen. Als sie die Bluse wieder zuknöpfen wollte, sprang der Knopf ab, und sie wäre am liebsten einfach unter dem Tisch geblieben und nie wieder herausgekommen. Die zwei durchnäßten Kinder heulten, und die Tischdecke tropfte. Ihr Vater, der am Kopf der Tafel saß, murmelte: »Ach du meine Güte, Helen. Ach du meine Güte.«
Sie zwang sich schließlich, unter dem Tisch hervorzukriechen, in der einen Hand den Krug, mit der anderen ihre Bluse zusammenhaltend. Adam hatte das nasse Tischtuch abgenommen; Helen schaffte es mit Versprechungen von Zitronendrops und Lakritze, die heulenden Kinder in die Küche zu lotsen. Als sie sie drinnen saubermachte, hörten sie auf zu brüllen, und Helen war ein wenig erleichtert.
»Kann ich Ihnen helfen, mein Kind?«
Mrs. Lemon stand an der Tür. Helen schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie sind fast trocken.«
Mrs. Lemon suchte in ihrer voluminösen Handtasche und brachte eine Sicherheitsnadel zum Vorschein. »Hier, Helen, versuchen Sie's damit.«
Die Kinder rannten, die Münder mit Süßigkeiten gefüllt, wieder in den Garten hinaus. Helens Hände zitterten, als sie ihre Bluse zusammensteckte.
»Ich weiß noch«, sagte Mrs. Lemon, »als ich Alfreds Mutter vorgestellt wurde – meiner zukünftigen Schwiegermutter, einer Frau, vor der man wirklich Angst bekommen konnte. Mir fiel auf, daß sie auf meine Füße starrte. Als ich hinuntersah, entdeckte ich, daß ich zu meinem rosafarbenen Seidenkleid und den Knopfschuhen aus Wildleder schwarze Wollstrümpfe anhatte. Wir trugen zu Hause niemals Seidenstrümpfe, dazu war es viel zu kalt im Haus, und ich hatte vergessen, die Strümpfe zu wechseln. Stellen Sie sich das vor, Helen – ein rosafarbenes Seidenkleid mit schwarzen Wollstrümpfen, die mein altes Kindermädchen gestrickt hatte.«
Helen brachte ein dünnes Lächeln zustande.
»Aber wenn es um Kleider und Garderobe geht, bin ich sowieso ein hoffnungsloser Fall. Sie dagegen haben eine Menge Talent, Helen.« Mrs. Lemon hatte den Kessel aufgesetzt und löffelte Tee in die Kanne. »Ich hab gehört, daß Sie für Mrs. Longman geschneidert haben.«
Mrs. Longman war die Frau des Bischofs. »Nur ein paar Kleinigkeiten«, sagte Helen und fügte hastig hinzu: »Ich wollte eigentlich als Schneiderin arbeiten, aber es hat nicht geklappt.«
Mrs. Lemon goß kochendes Wasser in die Kanne und warf Helen einen fragenden Blick zu.
»Das Geld«, erklärte diese. »Mit Zahlen komme ich einfach nicht zurecht.«
Sie erinnerte sich der
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