Das Winterhaus
Stimme ihres Vaters: »Helen ist ein richtiges Heimchen am Herd.« Sie war den Tränen nahe.
Mrs. Lemon nahm zwei Tassen aus dem Schrank. »Es muß doch furchtbar langweilig sein für Sie hier. Nur Sie beide in diesem großen, zugigen alten Haus. Da ist Heimarbeit auch nicht das richtige, wissen Sie. Ein junges Mädchen wie Sie gehört unter Menschen.«
Helen war sprachlos. Mrs. Lemon tätschelte ihre Hand und sagte mit einem Unterton der Entschuldigung: »Denken Sie sich nichts, Kind. Alfred sagt mir immer, daß ich ein Elefant im Porzellanladen bin. Aber trotzdem – ich hab doch recht, nicht wahr?«
Helen sagte leise: »Aber ich weiß nicht, was ich sonst anfangen könnte. Ich kann nicht maschineschreiben, und ich habe keinen Schulabschluß. Eigentlich kann ich gar nichts.«
Mrs. Lemon reichte ihr eine Tasse Tee. »Unsinn. Sie können sehr gut mit Kindern umgehen, Helen. Ich weiß noch, als Sie damals zum Tee bei uns waren, hatten Sie Edward innerhalb von Minuten soweit, daß er schlief. Und er war wirklich ein anstrengendes Baby. Sie sollten eine Ausbildung als Kindermädchen oder Kindergärtnerin machen. Ich könnte Ihnen Erste Hilfe und Säuglingspflege beibringen. Ich hab schließlich ein halbes Dutzend eigene Kinder.«
»Ich kann Ihnen doch nicht zumuten –«
»Es wäre keine Zumutung. Es würde mir Spaß machen. Na, was meinen Sie, Helen?«
Sie starrte in ihren Tee. Es war wahr, sie hatte Kinder immer gern gehabt. Sie sah sich als Kindermädchen, wie sie im Park einen Kinderwagen schob oder ein rundliches kleines Baby in den Schlaf wiegte …
Die Luftschlösser stürzten ein. »Ich könnte Daddy niemals allein lassen.«
»Das wäre ja auch gar nicht nötig«, erklärte Mrs. Lemon energisch. »Sie könnten sich eine Stellung suchen, wo Sie nur tagsüber gebraucht würden – in Ely vielleicht oder in Cambridge. Und ich rede mal mit Ihrem Vater, damit er auch versteht, daß das ein durchaus achtbarer Beruf ist, und ich helfe Ihnen gern bei der Suche nach einer Stellung bei einer ordentlichen Familie. Es wäre für Sie doch auch eine ausgezeichnete Vorbereitung auf später, wenn Sie einmal verheiratet sind und selbst Kinder haben.«
Mrs. Lemon trank ihren Tee aus und spülte die Tassen. »Ich erwarte Sie am Mittwochmorgen, Helen, um zehn«, rief sie, als sie aus der Küche ging.
Am Mittwochmorgen fuhr Helen mit dem Fahrrad nach Burwell. Ihre Sorge, daß Geoffrey zu Hause sein könnte, stellte sich als überflüssig heraus. Mrs. Lemon erzählte ihr, während sie ihren Hut und ihre Handschuhe nahm, daß ihre beiden ältesten Kinder, Geoffrey und Hilary, mit ihren Verwandten in Frankreich Urlaub machten. Helen atmete auf.
»Also, wo wollen wir anfangen?« sagte Mrs. Lemon flott. »Natürlich – die Nahrung. Ich habe Violet gesagt, sie soll Anthonys Fläschchen uns überlassen. Kommen Sie mit in die Küche, Kind. Ziehen Sie die Schürze über, Helen, dann zeig ich Ihnen, wie man das Fläschchen macht. Sechs Meßlöffel, Kind – ganz richtig. Das wichtigste ist, die Flaschen und Sauger vorher immer zu sterilisieren. Alles muß gründlich ausgekocht werden.«
Maia schickte Robin ein Kleid aus olivgrüner Rohseide mit passenden Schuhen und passender Handtasche. In ihrem Brief schrieb sie, das Kleid habe einen winzigen Fehler und sie könne es deshalb nicht verkaufen. Robin schickte ihr das Geld für die Schuhe und die Handtasche per Postanweisung. Sie sah die Bewunderung in Francis' Augen, als sie das Kleid zum erstenmal anhatte. »Umwerfend«, sagte er und strich mit einem Finger ihren seidenglatten Rücken hinunter. Ihr schwindelte fast vor Verlangen nach ihm. Dann begann er ihren Nacken zu küssen, und sie vergaßen die Fete, zu der sie eigentlich gehen sollten, und das Kleid fiel in einem kleinen Häufchen dunkelgrüner Seide in Francis' Schlafzimmer zu Boden.
Sie war jeden Abend unterwegs, in der Klinik, auf Versammlungen oder mit Francis. Ihr waren die schummrigen Kellerlokale und die ausgelassenen Abende im Pub lieber als die eleganten Feste. Sie war lieber mit Joe und Guy und selbst mit Angus zusammen als mit Selena Harcourts Vetter Theo und seiner Clique. Francis, dem es an allen Ecken und Enden an Geld für Kaos fehlte, umwarb den reichen Theo Harcourt. Robin war sich mit schlechtem Gewissen bewußt, daß sie ihre alten Freunde vernachlässigte: Sie hatte seit Monaten an keiner von Miss Turners Séancen mehr teilgenommen, und sie hatte nur einen eiligen Besuch bei Maia und Helen
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