Das Winterkind
Energisch und wütendklang das Fegen, als würde der Jemand an ganz andere, unangenehme Dinge denken, während er sauber machte.
Ich war versucht, wieder den Rückweg anzutreten. Nichts lag mir daran, die Bekanntschaft mit einer jungen, robusten Dörflerin zu machen, die hier dem Pfarrer aushalf und die Kirche putzte. Doch bei einem falschen und viel zu schnellen Schritt verdrehte ich mein Knie so, dass unzählige Schmerzen wie Funken in meinem Kopf aufstoben. Ich schaffte es gerade noch, mich an einer Kirchenbank festzuhalten, bevor ich langsam, wie ein invalider Greis, der den Sturz kommen sieht, aber nichts dagegen tun kann, zu Boden ruschte.
Kalt war der Stein, kalt und mit feinem, braunem Staub überzogen, als würde sich um diesen rückwärtigen Teil der Kirche schon lange niemand mehr kümmern. Dann, als ich aufblickte, stand die rothaarige Organistin vor mir. Sie musste vom Orgelboden herabgeschwebt sein, denn von dort war kein Laut mehr zu hören. Außerdem trug sie lange, gelbe Gummihandschuhe über einem dunklen Pullover, was sie wie eine große Puppe aussehen ließ, der man die falschen Arme angeschraubt hatte.
Mühsam versuchte ich mich aufzurichten und hangelte mich zu der letzten Kirchenbank empor, während sie mich nur stumm ansah und keinen Finger rührte, um mir zu helfen. Offensichtlich machte ich noch keinen ganz pflegebedürftigen Eindruck.
»Tut mir Leid«, sagte ich, als ich endlich in der Bank saß. Ich lächelte trotz der Schmerzen in meinem Knie. »Ich bin ausgerutscht. Normalerweise sollte man in einer Kirche ja beten und sich nicht die Beine brechen.«
Jeder leise Hauch von Humor war bei der rothaarigen Orgelspielerin verschwendet. Sie musterte mich, forsehendund argwöhnisch, als hätte sie mich soeben dabei erwischt, wie ich ihren Opferstock entwenden wollte. Dann strich sie sich mit einer nervösen Geste eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich habe Sie gesehen«, sagte sie. Ihrer Stimme klang überraschend rau und tief. »Wer sind Sie? Warum schleichen Sie mir nach?«
Beinahe hätte ich laut gelacht: Die Frau kannte mich nicht, sie wusste nicht, wer ich war. Höchstens auf Reisen, in Amerika oder wenn wir auf Gomera Urlaub machten, war es mir in den letzten Jahren passiert, dass die Leute meine Fernsehspots nicht gesehen hatten und nicht wussten, wer ich war. Nach der Pleite der Firma war ich sogar eine Art Berühmtheit geworden, auch wenn ich auf den Fotos oder in den Fernsehnachrichten gewiss einen vorteilhafteren Eindruck als jetzt gemacht hatte.
Dann fiel mir ein, dass ich von der Orgelspielerin dabei ertappt worden war, wie ich in ihr Fenster geblickt und sie und ihren Jungen beobachtet hatte.
»Wer hat Sie geschickt?«, fragte sie plötzlich und streckte drohend ihre Hände in den schmutzigen Gummihandschuhen aus. »Glaubt man mir nicht, dass ich weiterhin meine Arbeit tue, dass ich Tag und Nacht für die Gemeinde da bin?« Sie sprach viel zu laut, als hätte sie vergessen, wo wir uns befanden, oder es machte ihr nichts aus, weil sie sich jeden Tag hier aufhielt.
Ein Missverständnis – es musste sich um ein Missverständnis handeln. Nahm die Frau wirklich an, dass sich ein Detektiv an ihre Fersen geheftet hatte oder dass irgendeine Kirchenbehörde kontrollierte, ob sie ordentlich Orgel spielte und hinterher die Kirche putzte?
»Mein Name ist Ludwig Graf«, sagte ich. »Zurzeit wohne ich in einem Ferienhaus am See.«
Eine Spur von Erkennen trat in ihre Augen. »Ich wusste nicht …«, sagte sie dann hastig. »Ihr Vater … Ich habe Ihren Vater noch gekannt.« Mit zwei schnellen Bewegungen streifte sie sich ihre Gummihandschuhe ab, als wäre ich der reiche Verwandte aus Amerika, der plötzlich auf ihrer Türschwelle aufgetaucht war.
Ganz förmlich gab sie mir die Hand, die sich warm und knöchern anfühlte. »Sie haben sich verletzt …? Ist es schlimm? Haben Sie sich wehgetan?«
Ich schüttelte den Kopf. Aus der Nähe betrachtet wirkte die Frau ausgezehrt und müde, als würde ihr eine geheime Krankheit zusetzen, die ihr jede Kraft raubte. Aber vielleicht bereitete der Junge ihr auch nur zu viele Sorgen. »Neulich habe ich mir das Knie gestoßen. Dumme Sache«, sagte ich und lächelte wieder verlegen. Es fiel mir schwer zu erklären, dass ihr Junge an meinem Unfall schuld gewesen war und dass sie besser auf ihn Acht geben sollte.
»Die Leute in dieser Gegend sind misstrauisch«, sagte sie, und ich wusste nicht, ob sie mich damit warnen oder ihr eigenes
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