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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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Mark sollte wohl für Andi sein. Er erinnerte mich an das Teil, das er zur Jugendweihe angehabt hatte. Ob er das fürs Autohaus brauchte?
    Alles, was man sich vorstellen konnte, gab es in diesem Katalog. Die ganze bunte Warenwelt auf gut eintausend Seiten. Da brauchte man gar nicht mehr aus dem Haus gehen zum Einkaufen. Am meisten verblüffte mich, dass die ein Steilwandzelt von Pouch im Angebot hatten, das war doch eine Ost-Firma. Walkmen gab es schon ab fünfundzwanzig Mark, das war ja echt billig. So was wollte ich immer schon mal haben.
    Ich blätterte durch die Seiten und entdeckte ständig Dinge, die ich mir auch kaufen wollte, bis ich darüber einschlief und von Bestellzetteln und riesigen Neckermann-Paketen träumte.
    Meine Uhr zeigte gerade mal acht Uhr. Ich wälzte mich auf der Couch, aber schlafen konnte ich nicht mehr. Da draußen war überall Westen, und ich wollte ihn mir endlich anschauen. Nicht nur im Versandhauskatalog, sondern in echt. Leise stand ich auf und schlich in die Küche. Aus dem Schlafzimmer hörte man Andi schnarchen. Das kannte ich vom Zelten am Balaton. Der würde bestimmt noch zwei,drei Stunden weiterpennen. Ich fand auf dem Fensterbrett einen Stadtplan von Stuttgart, zog mich schnell an und hinterließ auf dem Küchentisch eine Nachricht, dass ich mittags wieder da wäre. Das war auch in Leipzig die Zeit gewesen, zu der man Andi sonntags frühestens ansprechen konnte. Leise schloss ich die Wohnungstür.
    Draußen dämmerte es langsam. Kaum ein Auto fuhr. Ich bog in eine kleine Straße ein, von der mir der Stadtplan gesagt hatte, dass sie auf kürzestem Weg in die City führte. Die Häuser waren meist ältere, zweistöckige Klinkerbauten und erinnerten mich kurz an die Dresdner Neustadt, wo ich vor Jahren mit Andi mal seine Großmutter besucht hatte. Aber hier gab es keine abgeblätterten Fassaden und keine kaputten Dachrinnen. Hier war alles repariert und instand gehalten worden. Auch die Fußwege waren ganz anders gepflastert, und auf den vielen kleinen Steinen klebten unzählige plattgetretene Kaugummis. Am Straßenrand parkte ein Westauto neben dem anderen. Rote, grüne, blaue, schwarze, gelbe – nicht dieses Grau, wie bei den meisten Trabbis. Ladengeschäfte mit Schaufenstern gab es hier fast keine, aber ich hatte auch so genug zu sehen.
    Ein älterer Mann mit Hund überholte mich. Auf der anderen Straßenseite sah ich eine Frau den Fußweg kehren. Der Rest der Stadt schien noch zu schlafen. Von den Querstraßen aus blickte man auf bewaldete Berge – das totale Kontrastprogramm zur Leipziger Tieflandsbucht, die so aussah, als hätte vor Urzeiten ein Riese mit einer Dampfwalze alles eingeebnet. Vom Turm einer alten verschnörkelten Kirche schlug es gerade neun Uhr in die morgendliche Stille. Ein Jogger lief keuchend an mir vorbei und verschwandin einer Seitenstraße, gleich hinter einem Edeka-Markt.
    Ich bog in die Tübinger Straße, lief unter einer großen Betonautobrücke durch, wie ich sie aus Leipzigs Nachbarstadt Halle kannte, und erreichte kurz darauf die Königsstraße. Vor mir eröffnete sich ein Blick auf zahllose Geschäfte und Kaufhäuser. Genial!
    Die Fußgängerzone war noch fast menschenleer, kahle Laubbäume standen in der Mitte. Ich blieb vor dem Hertie-Kaufhaus stehen. Schaufensterpuppen mit unbeweglichen Gesichtern starrten an mir vorbei ins Leere. Sie trugen die »Neue farbenfrohe Winterkollektion«, wie mir ein großer Schriftzug an der Wand hinter ihnen verkündete. Der Nachbarladen war voller Fernseher. Ein Pärchen schaute sich auf etwa einem Dutzend Bildschirmen die Aufnahmen von der Berliner Mauer an, auf der hunderte Menschen standen und mit Hämmern kleine Betonbrocken abschlugen. Daneben wurden CD-Player angepriesen. »Eine völlig neue Klangdimension« versprach ein glänzend weißes Schild mit dicken Buchstaben. Entfernt hörte ich Musik – oder so was in der Art. Neben einer Sitzbank standen einige glatzköpfige junge Männer in langen weißen Umhängen. Während einer den wenigen Passanten irgendeine Art Praline anbot, spielten die anderen kahlgeschorenen Typen mit seltsamen Instrumenten eine monotone Melodie und sangen irgendetwas, das ich nicht verstand. Waren das etwa westdeutsche Skinheads? Davon hatte ich schon mal gelesen. Ich lehnte das merkwürdige Gebäck mit einer Handbewegung ab und ging hastig weiter. Wer weiß, was die da reinmischten.
    Irgendwann stand ich vor der verglasten Tür eines Plattenladens.Dort bekam man bestimmt alle

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