Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
Winters wird langsam panisch«, sagte der Anrufer, ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten.
»Sehr gut. Sie haben nur noch eine Woche, um den Rest zu erledigen, vergessen Sie das nicht.«
»Keinesfalls, Sir, betrachten Sie es als erledigt.« Die Stimme des Anrufers drückte Selbstgefälligkeit und Sicherheit aus.
Es klickte. Der Mann in London hatte aufgelegt.
Der Anrufer lächelte. Es war Zeit für Phase zwei.
Afrika, Nordöstliches Gabun, Mai 1895
Mary Kingsley fluchte hingebungsvoll.
Sie saß fest, wieder einmal.
Vor ihr ragte ein verdammter Felsen in die Höhe, der ihr die Sicht nahm. Sie hatte fast vergessen, dass in Afrika andere Gesetze galten. Nichts ging hier schnell oder unkompliziert.
Vor vier Monaten waren die zehn Expeditionsteilnehmer nach einer ereignislosen Seereise in der kleinen Hafenstadt Port Gentil gelandet, einer Ansammlung von windschiefen Häusern und abenteuerlichen Gestalten. Erst ein Jahr zuvor hatte man hier einen Zollposten eingerichtet, der das einzige gemauerte Bauwerk weit und breit war. Gummi und Elfenbein, Holz und Sklaven wurden ausgeschifft, und die Gewinne, die sich vor allem die ausländischen Handelsleute davon versprachen, lockten immer mehr Ausländer an.
Mary und ihre Begleiter waren am europäischen Festland vorbei nach Süden gesegelt, die stürmische Biskaya backbords liegen lassend, bis sich die Sterne veränderten und die Nähe des Äquators verkündeten.
Die seltsame Begebenheit der ersten Nacht hatte sich nicht wiederholt, wenngleich Mary hin und wieder das Gefühl hatte, es sähe ihr jemand über die Schulter.
Die Stimme jedoch hatte beharrlich geschwiegen.
Von Port Gentil waren sie weitergezogen, auf den alten Karawanenrouten ins Innere des Landes. Die Zeit verging rasch. Seit vier Monaten war sie nun bereits wieder in Afrika, und wenn sie darüber nachdachte, dann hatte sie jeden Tag davon genossen. Das hätten viele nicht verstehen können, angesichts der Anstrengungen, die rund um die Uhr unternommen werden mussten, um die Expedition vor dem Scheitern zu bewahren.
Nichts ging auf Anhieb glatt.
Die Mitglieder der Expedition übernachteten, umringt von wilden Tieren, unter freiem Himmel, wanderten durch sengende Wüsten, kämpften sich über unüberwindbar scheinende Gebirgskämme und undurchdringliche Urwälder. Mary hatte gelernt, Spuren zu lesen, sich an den Sternen zu orientieren und auf bewegte Ziele zu schießen, um genügend Nahrung heranzuschaffen. Sie hatte sich den Respekt der männlichen Teilneh mer ertrotzt, obwohl immer noch einige der Meinung waren, eine unverheiratete Frau wäre zu Hause besser aufgehoben. Um der lieben Schicklichkeit willen hatte sie eingewilligt, eine Zofe mitzunehmen, was sich rasch als eine zusätzliche Belastung herausgestellt hatte. Fieber und Durchfall, Kraftlosigkeit und die brütende Hitze hatten die Zofe geschwächt und dazu geführt, dass sie noch langsamer vorankamen.
Den übrigen Expeditionsteilnehmern ging es derzeit, mit Ausnahme von Mary, nicht besser. Zähneknirschend hatte so die ganze Gruppe mitten in einer Steinwüste Zelte aufgeschlagen und die weiteren Reisepläne verschoben. Jetzt hieß es warten und hoffen, dass alle wieder gesund würden. Neben Mary waren es nur noch zwei Boys, die von den Fieberwellen ver schont geblieben waren. Die drei kümmerten sich um die Kran ken. Doch nach zwei durchwachten Nächten hatte die Forscherin das Gefühl gehabt, in einem Käfig eingesperrt zu sein. Keiner ihrer Expeditionsteilnehmer schwebte mehr in Lebensgefahr, und so beschloss sie, sich ein wenig umzusehen. Einer der einheimischen Führer versuchte sie aufzuhalten, er warnte vor allen möglichen Gefahren. Mary winkte ab. Sie hatte sich einen Rucksack geschnürt, das Gewehr umgehängt und ein Messer in den Gürtel gesteckt. Dann war sie losmarschiert, immer mit Blick auf die seltsame Felsformation im Norden.
Inmitten der Geröllwüste erhoben sich schwarze Berge aus Stein, karge, leblose Gipfel, die einer Sandwüste an Einsamkeit in nichts nachstanden. Eines dieser Gebilde hatte Marys Aufmerksamkeit gefesselt: Zwei benachbarte Gipfel bildeten eine Formation, wie sie in Lord Covingtons Brief skizziert gewesen war. Es sah aus, als habe jemand eine riesige schwarze Schale in die Landschaft gestellt.
Mary blickte auf die Felsen vor ihr und spürte ein Kribbeln im Magen. Dies würde die letzte Gelegenheit sein, ihrem Instinkt zu folgen, unbeeinflusst von den anderen. Sobald alle wieder gesund wären, würde
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