Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
sondern hörte nur zu, ohne Kim zu unterbrechen.
»… und dann ist sie gesprungen. Einfach so.« Kims Stimme zitterte.
»Ohne etwas zu sagen? Wirklich?«, vergewisserte sich Sandberg. Er schaute Kim zweifelnd an.
»Einfach so«, bestätigte Kim. Auch wenn der Kommissar durchaus vertrauenerweckend aussah – von Carolins letzten Worten sagte sie nichts. Wie sollte er das auch verstehen? Sie selbst verstand es ja nicht. Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung, was hier vorgeht, dachte sie verängstigt. Alles war aus den Fugen geraten, das normale Leben zu einem Horrorfilm mutiert, der unaufhaltsam einem Höhepunkt zusteuerte, ob Kim das wollte oder nicht. Es war wie verhext. Und es war erschreckend real.
»Kim!« Alex’ Stimme ließ sie hochschrecken. Ihr Vater stand an der Tür. »Bist du okay? Du Arme. Das gibt’s doch nicht. Erst Jenna, dann das!« Er zog sie vom Sofa hoch und umarmte sie fest, drückte ihr Gesicht an seine Schulter.
»Wer ist Jenna?«, fragte Sandberg, der die Szene interessiert beobachtet hatte. »Und wer sind Sie?«
Alex löste sich von seiner Tochter und schaute den Kommissar irritiert an. »Ich bin Kims Vater, Dr. Alexander Winters. Jenna ist meine Frau. Sie hatte gestern einen Autounfall und liegt derzeit in Großhadern.«
Sandberg sah Kim nachdenklich an. »Das haben Sie vergessen zu erwähnen, Kim.«
»Was hat denn meine Mutter damit zu tun? Hier geht es doch um Carolin!« Kim griff nach ihrer Tasse, die auf dem klei nen Beistelltisch neben dem Sofa stand. Sie trank ein paar Schlucke lauwarmen Tee und verzog das Gesicht.
»Auf den ersten Blick hat das nichts miteinander zu tun«, gab der Kommissar zu. »Aber manchmal sind Zusammenhänge erst mit der Zeit klar zu erkennen. Daher finde ich es seltsam, dass Sie den Unfall Ihrer Mutter vorhin nicht erwähnt haben. Das ist alles.«
»Können Sie Kim nicht später verhören?«, fuhr Alex jetzt dazwischen. »Sie sehen doch, dass sie unter Schock steht.«
»Natürlich.« Sandberg gab nach. »Würden Sie Kim heute Nachmittag aufs Präsidium begleiten, Dr. Winters? Sie muss das Protokoll noch unterschreiben.«
»Meine Tochter ist erst siebzehn.« Alex stellte sich beschützend vor Kim und funkelte den Kommissar an. »Sie hat gerade zusehen müssen, wie sich jemand von diesem Balkon gestürzt hat. Kann da das Protokoll nicht warten?«
Sandberg hob die Hände. »Sie sind Arzt, Herr Winters? Dann wissen Sie doch, dass man sich an Vorschriften halten muss. Kommen Sie heute Nachmittag, auch wenn Sonntag ist, zu mir. Sie können unterschreiben. Und … Kim – es tut mir sehr leid.«
»Arroganter Arsch«, brummte Alex, als die Tür hinter dem Kommissar zufiel.
Kim lächelte unter Tränen. »Danke, dass du hier bist, Alex.«
»Ist doch klar. Komm, wir gehen ein paar Schritte. Ein biss chen frische Luft wird dir guttun. Und danach gehst du ins Bett.«
»Nein!« Kim klammerte sich an seinem Arm fest. »Ich … ich will da jetzt nicht runter.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, ihre Schultern bebten. »Ich will hierbleiben. Auf dem Sofa. Bitte.«
Alex nahm seine schluchzende Tochter in den Arm und führte sie zurück zum Sofa. Behutsam deckte er sie zu und nahm ihre eiskalten Hände in seine. »In Ordnung. Ganz ruhig.« Er zog sein Handy aus der Tasche. »Warte hier. Ich muss ein paar Anrufe erledigen.« Dann stellte er ihr eine frische Tasse Tee hin und ging in die Küche. Die Balkontür stand noch offen, nachdem einer der Kriminalbeamten sich die Szene von oben betrachtet hatte.
Alex trat hinaus und sah ebenfalls hinunter. Der Leichnam Carolins war bereits abtransportiert, nur ein großer, dunkler Fleck auf dem Asphalt zeugte noch von dem Drama, das sich hier abgespielt hatte. Ein paar Nachbarn standen an der Toreinfahrt, die Straße und Hof miteinander verband, und unterhielten sich leise.
Er hatte von der Tür aus gehört, wie Kim dem Kommissar den Ablauf beschrieben hatte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Alex wurde das Gefühl nicht los, dass seine Tochter etwas verschwiegen hatte. Er dachte daran, was Jenna ihm erzählt hatte.
Wenn Kim tatsächlich Angst vor irgendetwas hatte, dann müsste sie jetzt panisch sein.
Denn das war nicht nur eine Botschaft gewesen.
Es war eine Drohung.
Im Londoner Stadtteil Notting Hill läutete zur gleichen Zeit ein Telefon. Nur wenige kannten die Nummer, niemand wusste, dass es eine abhörsichere Leitung war.
»Das Mädchen hat genau das getan, was wir von ihr erwartet haben. Die kleine
Weitere Kostenlose Bücher