Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
vergeblich. Panisch sah sie sich um – doch nichts. Niemand war zu sehen, bis auf Sinya, die sie angsterfüllt anstarrte. Ihr keuchender Atem war weithin in der Nacht zu vernehmen, die Stimme hallte in ihrem Kopf. Dann legte Sinya ihr die Hände auf die Schultern, und Mary fand wieder ins Hier und Jetzt zurück. Ihr Atem beruhigte sich, und sie starrte herausfordernd in die Dunkelheit.
Genauso schnell, wie die Schwärze sie umgeben hatte, verschwand sie auch wieder, wie ein schlechter Traum. Einen Augenblick später war alles so wie zuvor. Wäre Sinya nicht gewesen, die zumindest einen Teil der Erscheinung miterlebt hatte, dann hätte Mary geglaubt, sie verliere durch Hitze oder Anstrengung den Verstand.
Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dem nicht so war. Jemand versuchte sie zu warnen, sie von ihrer Suche abzuhalten.
Mary und Sinya legten sich dicht nebeneinander auf den Boden.
»Wir müssen versuchen zu schlafen«, murmelte Mary und griff instinktiv nach Sinyas Hand. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, doch sie schlief tatsächlich wieder ein.
Am Nachmittag des nächsten Tages hatten die zwei Frauen die Bergformation erreicht, die Mary schon vom Lager aus so fasziniert hatte. Zwei Berge, deren Ausläufer sich am Fuße so trafen, dass sich die Form einer Schale ergab. Mary rann der Schweiß über den Rücken, die Träger ihres Rucksacks schnitten ihr tief in die Haut. Sie hob den Kopf, den sie mit ihrem Gazeschal vor der stechenden Sonne geschützt hatte, blickte ihre Begleiterin an. Die Berge ragten schwarz vor ihr auf. Noch ein Grat? Sie seufzte innerlich und warf einen kritischen Blick auf ihre Schnürschuhe, die einen bemitleidenswerten Eindruck machten. Noch ein paar Tage, und sie würden in Fetzen an ihren Füßen hängen.
Was tat sie hier eigentlich? Was suchten sie hier? Mary begann, an ihrer Entscheidung, Covington zu glauben und der Frau zu folgen, endgültig zu zweifeln. Doch was war die Alternative? Auf eigene Faust umzudrehen wäre glatter Selbstmord gewesen.
Ihre Begleiterin wählte diesmal nicht den Weg auf den Gipfel. Zielstrebig ging sie voran, folgte dem Tal, das sich zu einer tiefen Schlucht verengte. Zwei Geier kreisten hoch am gleißenden Himmel, stießen heisere Schreie aus und beruhigten Mary keineswegs.
Was nach einer kurzen Wegstrecke durch die Schlucht ausgesehen hatte, entpuppte sich bald als Wanderung, die bis tief in die nächste Nacht dauerte. Sie kamen immer langsamer voran, Mary konnte vor Müdigkeit die Augen kaum mehr offen halten. Schlurfend versuchte sie, ihrer Führerin zu folgen, stolperte mehrfach und beschloss schließlich, der Qual für diesmal ein Ende zu machen. Gegen Mitternacht zupfte sie an Sinyas Ärmel und wiederholte bittend die Geste mit den gefalteten Händen.
Sinya jedoch schüttelte energisch den Kopf. »Soon«, sagte sie. »Soon.« Bald.
Dann drehte sie sich um und ging weiter in die Nacht hinein.
Die Morgendämmerung des dritten Tages ließ sich schon im Osten erahnen, als sie endlich stehen blieb, Mary den Wasserbeutel hinhielt und ihr bedeutete, sie möge sich setzen. Sie hatten das Ende der Schlucht erreicht, vor ihnen erstreckte sich eine unendliche Ebene, auf der sich hohes grünbraunes Steppengras im Wind wiegte. In der Ferne schimmerte ein Fluss. Die schwarzen Berge lagen endlich hinter, fruchtbares Land vor ihnen.
Erschöpft, wie Mary war, hätte sie beinahe den kleinen Weg übersehen, der hinter ihr zurück in die schwarzen Berge führte, ein kleiner, schmaler Pfad, etwas höher gelegen als die soeben durchquerte Schlucht. Ihr graute vor dem Aufstieg, und sie hoffte, die Ebene würde ihr Ziel sein.
Sinya jedoch nickte, als Mary mit dem ausgestreckten Arm auf den unwegsamen steinigen Pfad wies. »Yes«, sagte sie. »Soon.« Dann förderte sie aus ihrer Tasche erneut Essbares zutage, fachte aber diesmal kein Feuer an. Yamswurzeln und Dörrfleisch bildeten ein karges Mahl, und Mary aß, obwohl sie kaum Hunger verspürte. Sie rasteten eine Weile schweigend, bis die Sonne aufging.
Dann begann der Aufstieg.
Am späten Vormittag erreichten sie endlich eine Anhöhe. Große Felsblöcke spendeten hin und wieder Schatten, und Mary ließ sich schwer atmend gegen einen großen Stein sinken. Ihre Führerin steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Es dauerte keine zwei Minuten, und zwei hochgewachsene Gestalten erschienen über ihnen auf einem Felsgrat. Behände stiegen sie über den steinigen Abhang. Als
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