Das Wispern der Schatten - Roman
daran, was es heißt, glücklich zu sein. Gute Nacht! Und verbringt nicht den ganzen Abend damit, einander in die Augen zu sehen. Du brauchst deinen Schlaf, Junge.«
» Gute Nacht, Samnir!« Jillan schrie auf, als Hella an seinem Arm zog und losrannte. Er stolperte, und sie lachte vergnügt.
Hellas Zuhause lag im Nordwestteil von Gottesgabe, wo die meisten Krämer ihre Läden und Stallungen hatten. Sie hielten sich an die Hauptstraße, die aus dem Südteil der Stadt hinausführte, und erreichten gerade den Versammlungsplatz im Zentrum nicht weit von der Schule entfernt, als vor ihnen aus der Nacht heraus eine spöttische Stimme ertönte.
» Sieh an, sieh an! Da kehren die beiden Kinder des Chaos an den Ort ihrer ersten Sünde zurück. Ihr Teufel freut euch wohl heimlich noch über die Auswirkungen eurer Machenschaften, wie? Und ihr glaubt, dass ihr einfach so durch die Dunkelheit hüpfen könnt, ohne dass die heiligen Bevollmächtigten des Reichs mit ansehen, wie ihr euch miteinander verschwört und Ränke schmiedet?«
Jillan und Hella klammerten sich entsetzt aneinander und rissen die Augen weit auf, während sie ins Zwielicht starrten. Hella kreischte, als sie ein bleiches, schmales Gesicht erkannte. » Der Prediger!«
» Nicht auszudenken, dass ich euretwegen aus Gottesgabe verbannt worden bin, ihr Schädlinge! Aber meine Rechtschaffenheit hat sich durchgesetzt, und das Volk von Gottesgabe ist für seinen mangelnden Glauben bestraft worden. Die Pest ist die göttliche Vergeltung, die es trifft, und du versuchst, sie ungeschehen zu machen, nicht wahr, du böser Junge?«
Jillan konnte nicht antworten, da düstere Erinnerungen auf seine Gedanken einstürzten. Ihm war übel vor anerzogenen Schuldgefühlen. Die alten Ängste verwandelten seine Eingeweide in Eis, packten sein Herz und ließen seine Lunge fast zusammenbrechen. Etwas Klammes schlängelte sich über seine Seele.
» Er weiß alles. Ich würde dich ja selbst vernichten, aber er hat mir befohlen, dich für ihn aufzusparen. Er kommt. Nichts kann dich retten! Die Verdammnis ist dir gewiss!«
Der Prediger kam näher. Warum tun meine Füße nicht, was ich will?
Es ist die Angst, Jillan, die Angst, flüsterte der Makel. Reiß dich davon los! Zurück, zurück! Um Hellas willen, wenn schon nicht deinetwegen!
Jillan zog Hella mit sich zurück. Sie war so erstarrt wie er.
Der lange Arm des Predigers griff nach ihnen.
Flieh!
» Du kannst nirgendwohin flüchten. Dich nirgendwo verstecken. Komm zu mir.«
Lauf!
Der Prediger stürzte sich auf sie, und der Bann, der sie hatte stillhalten lassen, war mit einem Schlag gebrochen: Jillan zog Hella beiseite, und die langen Finger des Predigers verfehlten ihr Ziel. Und dann hasteten sie durch die Nacht, verfolgt von geheulten Drohungen und großen, trampelnden Füßen. Sie huschten immer wieder nach links oder nach rechts. An einer Kreuzung verloren sich ihre Hände, und sie griffen hektisch nacheinander. Dann waren sie erneut unterwegs und hatten entsetzliche Angst, gleich dem nächsten Albtraum in die Arme zu laufen.
Jillan beobachtete nervös die Tür und wartete jedes Mal besorgt ab, wer wohl der nächste Mensch, der hindurchtrat, sein würde. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Samnir zu bitten, für ihn Wache zu halten, aber er wusste, dass der Soldat gebraucht wurde, um die Bergkrieger auszubilden.
Außerdem kannst du gut genug auf dich selbst aufpassen, wenn du nur deine Magie gebrauchst.
» Ich werde sie nur zum Heilen gebrauchen. Wann immer ich sie in etwas wie einem Kampf einsetze, sterben Menschen.«
Pech und Kleinkram, das ist alles.
Aber Menschenleben waren kein Kleinkram, zumindest nicht für Jillan, für das Reich allerdings wahrscheinlich sehr wohl.
Im Laufe des Vormittags kamen Aspin und Thomas vorbei, um ihn zu besuchen. Sie brachten Tee mit, und Jillan wärmte sich dankbar die Hände an einer Tasse. Er hatte in der Nacht kaum einen Augenblick geschlafen, weil er so aufgeregt gewesen war und sich zudem danach gesehnt hatte, seinen eigenen Träumen aus dem Weg zu gehen.
» Was ist euch zugestoßen?«, fragte Jillan, als er bemerkte, dass beide frische Schürfwunden und Prellungen aufwiesen. Aspin sah aus, als ob er ein blaues Auge bekommen würde.
Der Bergkrieger rieb sich leicht verlegen den Nacken. » Dein Freund Samnir hat mit uns geübt. Er greift sich wohl gern die heraus, von denen er annimmt, dass sie am Vorabend zu viel getrunken haben, um ihnen eine Lektion zu erteilen.«
Thomas
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