Das Wispern der Schatten - Roman
Ash, um diese Menschen zu heilen. Gottesgabe ist meine Heimat. Hier leben Leute, die mir wichtig sind, und Aspin wird um seines eigenen Volkes willen bleiben wollen, da bin ich mir sicher. Ich kann ihn nicht allein dem Heiligen gegenübertreten lassen, wenn ich es doch war, der überhaupt erst einen Großteil dieses Ärgers ausgelöst hat. Ich habe das Gefühl, dass die Bergbewohner ohne die Ereignisse, die ich in Gang zu setzen geholfen habe, überhaupt nicht hier wären. Also kann ich sie nicht einfach im Stich lassen, Ash, das musst du einsehen. Außerdem bin ich müde. Ich bin es müde, vor dem Heiligen davonzulaufen, müde, mich zu verstecken, müde, mich schuldig zu fühlen, müde, um Gnade zu flehen. Die einzige Möglichkeit, dem ein Ende zu setzen, besteht für mich darin hierzubleiben. Kannst du das verstehen? Aber du kannst gehen, Ash. Hier gibt es nichts für dich, das weiß ich, und niemand wird schlechter von dir denken, wenn du nach Hause in die Wälder zurückkehrst, das verspreche ich dir.«
Aber alle denken ohnehin schon so schlecht von ihm, dass es ihnen ja auch überhaupt nicht möglich wäre, noch schlechter von ihm zu denken, nicht wahr?
Ash ließ einen Augenblick wie beschämt den Kopf hängen, bevor er sein gewohnt lässiges Grinsen aufsetzte. » Nun, ich freue mich, dass du Verständnis dafür hast. Ich hätte nicht verschwinden wollen, ohne es dir erklärt oder mich verabschiedet zu haben. Wir hatten doch unterwegs schöne Zeiten zusammen, was? Erlöserparadies, Linderfall, Hyvans Kreuz… Das war vielleicht eine Reise! Ja. Nun denn, ich wünsche dir alles Gute, junger Jillan. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Und geh mit den Göttern!«
Sie schüttelten einander die Hand, und der Waldläufer ging zur Tür. Er drehte sich um und winkte mit einem leicht entschuldigenden Lächeln ein letztes Mal; dann war er verschwunden.
Feigling. Oder ist er nur vernünftig? Er kann sich zumindest sicher sein, den aufziehenden Sturm zu überleben, auch wenn er es vielleicht noch bereut.
Kurz darauf kehrte Samnir zurück. » Es wird spät, mein Junge. Es ist schon dunkel, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Die nächste Besucherin ist die letzte für heute. Ich habe an alle, die noch draußen stehen, Papierstücke mit Nummern verteilt, damit sie dich morgen in der jetzigen Reihenfolge wieder aufsuchen können. Mach dir keine Gedanken. Du fängst früh an, und es geht ihnen allen noch so gut, dass sie die Nacht überstehen werden. Hier kommt also die Letzte. Ich warte draußen auf euch.«
Jillan wusste bereits, wer es war, bevor er sie sah. Wie ihm jetzt klar wurde, war er schon immer in der Lage gewesen, ihre Gegenwart zu spüren. Das Mädchen, dessen Besuch er so herbeigesehnt und vor dem er sich zugleich so gefürchtet hatte. Er war fast froh gewesen, all die kranken Leute heilen zu müssen, um eine Art Entschuldigung dafür zu haben, dass er sie nicht aufgesucht hatte. Sie machte ihm Angst; sie erregte ihn. Was würde sie dazu sagen, dass er Karl getötet und sich dann auf die Flucht vor dem Heiligen begeben hatte? Würde sie ihn hassen? Er hatte schreckliche Blasphemien begangen. Würde sie ihn auch nur ansehen wollen? Aber sie war hier! War sie gekommen, um ihn zu verurteilen?
Ihm war übel, als er langsam den Blick hob, um ihr in die Augen zu sehen. Sie lächelte, und es war, als wäre nie etwas Schlimmes geschehen. Niemand war gestorben oder zu Schaden gekommen. Es hatte nie eine Seuche gegeben. Der Heilige war nicht auf der Jagd nach ihm. Die Götter waren nie gefallen, und sie waren immer nur gut zum Volk. Das Reich und das Chaos existierten noch nicht einmal als bloße Vorstellung. Es gab nur das Geas, seine heilende Magie und Hella.
» Es ist gut, dich wiederzusehen.« Sie errötete. » Ich hatte Angst, dass das nie geschehen würde.«
» Ich auch«, murmelte er mit heißem Gesicht. Er stand auf, und sie traten aufeinander zu. Sie hielten einander fest, und Jillan verlor jegliches Gefühl dafür, ob es nur ein kurzer Augenblick oder eine Ewigkeit war.
» Vater hat gesagt, dass ich dich zum Abendessen einladen soll. Bitte sag, dass du kommst.«
Es war unmöglich, ihr etwas abzuschlagen. Er grinste wie ein Dorftrottel. » Natürlich. Es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre.«
Sie nahm seine Hand und führte ihn aus dem verwahrlosten Haus. Im Dunkel des Abends winkte Samnir ihnen zu. » Wir sehen uns morgen früh, Jillan. Genieß dein Abendessen und erinnere dich ein wenig
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