Das Wispern der Schatten - Roman
Beine und schleifte sein Bündel hinter sich her aus dem Zimmer, den Flur entlang und zur Treppe. Er warf einen Blick hinunter in den Schankraum: Alles schien leer und ruhig zu sein.
Er erprobte das Gewicht seines Bündels auf den Schultern und gelangte zu dem Schluss, dass er es tragen konnte. Auf Zehenspitzen schlich er hinunter und hatte die Tür schon fast erreicht, als er Ingrid im Nebenzimmer erspähte. Sie saß im Nachthemd da, hatte die Arme um sich geschlungen und wiegte sich leicht vor und zurück. Ihre Augen sahen nichts, und sie ließ nicht erkennen, ob sie sich seiner Gegenwart bewusst war.
» Es… es tut mir leid!«, murmelte Jillan, zog rasch den Riegel der Haustür beiseite und schritt in die Morgendämmerung hinaus.
» Das muss es nicht«, sagte Ingrid geistesabwesend. » Es ist alles gut.«
Der heilige Azual wischte sich das Blut mit den Händen aus dem Gesicht und wusste nicht, ob es seines oder Samnirs war. Er leckte sich die Finger. Eine Mischung. Der Held hatte ihm auch ohne Waffe aus Sonnenmetall einen unglaublichen Kampf geliefert, und Azuals Selbstbewusstsein war ins Wanken geraten. Erstaunlicherweise hatten einige der Helden von Gottesgabe versucht, aufseiten des Heiligen in den Kampf einzugreifen– anscheinend konnten Samnir und die anderen einander nicht ausstehen–, aber Azual hatte ihnen zugebrüllt, sich herauszuhalten.
Gedankenschnell hatte Samnir seinen Speer nach dem Auge des Heiligen gestoßen, aber Azual hatte ihn kommen sehen und den Speerschaft zerschmettert. Das hatte die Reichweite des Helden zwar verringert, aber es war ihm gelungen, das abgebrochene Ende mit dem Fuß vom Boden hochschnellen zu lassen, sodass er dann über zwei kürzere Stangen verfügt hatte, die er als Waffen hatte einsetzen können und tatsächlich auch mit schrecklicher Durchschlagskraft eingesetzt hatte, indem er sie ohne Unterlass wirbeln und kreisen ließ. Samnir hatte Azual bis an den Rand des Wehrgangs zurückgedrängt, bis es ausgesehen hatte, als ob der Heilige in ernster Gefahr wäre. Dann war Azual mit Absicht vorgetreten und hatte sich die Speerspitze in den Arm dringen lassen, nur um Samnir die Waffe zu entwinden. Obwohl die Wunde tief war und die Klinge den Knochen durchbohrt hatte, würde die Verletzung für jemanden, der so schnell genas wie der Heilige, nicht tödlich sein.
Samnir hatte nun nur noch ein einziges Holzstück gehabt, das er als kurzen Stab benutzt hatte, um Azuals Angriffe beinahe lässig abzuwehren. Jedes Mal, wenn der Heilige mit seinem flammenden Schwert zugeschlagen hatte, war es im gestreckten Winkel von einem Ende des Stabs abgeglitten, dessen anderes Ende dann einen entkräftenden Treffer auf Azuals Armen, Beinen oder Oberkörper gelandet hatte. Der Heilige hatte bereits einen Schlag auf die Stelle am Arm bekommen, in die zuvor der Speer gedrungen war, und konnte ihn so kaum noch gebrauchen, ferner einen gegen die Rippen, der ihm das Atmen erschwerte, und einen an den Oberschenkel, sodass er sich weit langsamer bewegte. Nun sauste der Stab auf den Unterarm nieder, in dessen Hand Azual sein kostbares Schwert hielt. Es gelang dem Heiligen gerade noch, seine Waffe festzuhalten.
Azual wich zurück, weil er wusste, dass er, wenn Samnir gezwungen war, zum Angriff überzugehen, weit bessere Gelegenheiten bekommen würde, den Stab geradewegs mit der Schneide seiner Sonnenmetallklinge zu treffen. Das würde der Stab höchstens ein paar Sekunden lang überstehen. Aber der Held ließ sich nicht aus der Reserve locken, sondern rollte nur die Schultern und den Kopf, als würde er sich für einen Übungskampf aufwärmen. Der Mann machte sich schon wieder über ihn lustig!
Azual wurde bewusst, dass er anders als Samnir in den letzten Jahren zu wenig Zeit mit Kampfübungen verbracht hatte. Er verließ sich mittlerweile viel zu sehr auf die unberechenbare und verderbliche Magie, die er dem Volk in gewissen Abständen abzapfte– nun sah er ja, wie sie ihn verraten und verlassen hatte, als er sie am dringendsten gebraucht hätte. Er hätte es besser wissen sollen, als auf solch eine besudelte Macht zu vertrauen. Man musste immer einen Preis zahlen. Er hoffte nur, dass er nicht binnen wenigen Augenblicken den höchsten Preis überhaupt würde entrichten müssen.
Azual musterte Samnir genauer. Das Gewicht ausgeglichen auf nicht zu weit voneinander entfernte Füße verteilt, die Schultern entspannt, um geschmeidig zu bleiben und sich schnell bewegen zu können, ein angedeutetes,
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