Das Wispern der Schatten - Roman
das Kinn. » Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Helden von Erlöserparadies schon angewiesen worden sind, nach dir Ausschau zu halten. Es ist gefährlich.«
Jillan zuckte mit den Schultern. » Ich muss es versuchen.«
» Nun ja, in zwei Tagen ist Markt in Erlöserparadies. Dann kommen recht viele Leute aus anderen Gemeinden in die Stadt, und wenn ich mit dir gehe, fällst du nicht so auf wie jemand, der allein in die Stadt zu gelangen versucht. Wir können hingehen, einen Tag lang nach diesem Menschen fragen und uns dann wieder davonmachen, bevor du zu viel Aufmerksamkeit auf dich ziehst. Wir können auch jemanden bitten, in den nächsten Wochen nach deinen Eltern Ausschau zu halten, und der Betreffende kann dann die Nachricht weitergeben, dass du in meiner Hütte im Wald bist.«
Jillan dachte darüber nach und nickte schließlich.
» Du wirst aber deine Rüstung verhüllen müssen. Sie ist ziemlich auffällig. Was sind das überhaupt für Symbole? Ich kenne sie nicht.«
Jillan rutschte unbehaglich hin und her. » Ich auch nicht. Ich habe sie in einer alten Scheune gefunden. Ich glaube nicht, dass sie irgendjemandem gehört, und ich glaube auch nicht, dass jemand bisher so recht gesehen hat, dass ich sie trage, aber ich kann einen Umhang darüber ziehen.«
» Und wer ist dieser Mensch, den du treffen musst? Vielleicht kenne ich ihn ja? Dann sparen wir Zeit.«
» Thomas Eisenschuh.«
» Thomas? Nein, ich kenne keinen, der so heißt. Aber Erlöserparadies ist ja auch ein großer Ort, und viele Menschen kommen und gehen. Jedenfalls ist es abgemacht, Jillan, mein Junge! Wir sind Verschwörer und Abenteurer! Trinken wir darauf! Verschwörer!«
» Verschwörer!«
Der Wolf begann zu schnarchen.
Bei Anbruch der Nacht erreichten der heilige Azual und seine Männer das Gasthaus. Azual war verstimmt, da er es nicht gewohnt war, für längere Zeit im Sattel zu sitzen, und deshalb den Tagesritt bei schlechtem Wetter überhaupt nicht genossen hatte. Aber der Ritt war unvermeidlich gewesen, um seine Kräfte zu schonen. Ich sorge schon noch dafür, dass der Junge für jeden einzelnen Augenblick dieser blasphemischen Demütigung leidet!
Er stieg steif aus dem Sattel, warf die Zügel einem seiner Leibwächter zu, schritt zur Tür des Gasthauses und klopfte kräftig an. Obwohl die Tür mit Metall beschlagen war, hinterließ seine Faust einen sichtbaren Abdruck darin.
» Öffne die Tür, im Namen der Erlöser!«, rief er mit dröhnender Stimme. » Öffne sie, oder– wahrlich!– ich verbrenne sie wie Zunder.«
Binnen wenigen Herzschlägen war zu hören, wie Riegel beiseitegeschoben wurden, und ein blasses, junges Gesicht spähte heraus.
» Öffne deinem geweihten Heiligen die Tür, Mädchen! Ingrid, nicht wahr?«
Das Mädchen schluckte, zog mit einiger Mühe die Tür auf und trat beiseite, sodass der finster blickende Heilige eintreten konnte. Sie knickste, als er an ihr vorbeikam, und sagte mit zitternder Stimme: » Willkommen, Heiliger.«
» Bereite etwas zu essen und zu trinken für meine Männer vor, während sie ihre Pferde in den Stall bringen, Ingrid. Hauptmann Skathis, sperrt den Mann und die Frau oben in getrennte Räume. Ihr werdet feststellen, dass die Zimmer recht sicher sind, und das Mädchen hat die Schlüssel. Ich spüre keine Pest hier.«
» Wie Ihr wünscht, Heiliger.«
» Ich habe es mir anders überlegt, Mädchen, lass das Essen erst einmal stehen. Du und ich müssen zuvor allein miteinander sprechen.«
» Allein, Heiliger?«, fragte sie schwach.
» Ja, Mädchen, es sei denn, du möchtest, dass Dritte von deinen Verbrechen und deiner Schande erfahren.«
Tränen traten in ihre Augenwinkel. » H…hier entlang, Heiliger.« Sie führte den hünenhaften Vertreter der Erlöser ins Nebenzimmer und setzte sich auf einen der Stühle. Ihr zitterten die Hände, als sie sich an die Vorderseite ihres Kleids klammerte. Ihre Knie stießen aneinander, und Urin begann auf den Holzfußboden unter ihren Füßen zu tröpfeln.
Azual rümpfte angewidert die Nase– bei solchen Gelegenheiten wünschte er sich immer, seine Sinne wären nicht ganz so scharf–, sagte aber in nicht unfreundlichem Ton: » Du musst dich nicht vor mir fürchten, Kind. Es ist meine Pflicht, mich gut ums Volk zu kümmern. Komm, sammle dich.«
Ingrid nickte und zog ein Taschentuch aus dem Ärmel, um sich damit die Nase zu wischen. » Ja, Heiliger.«
» Nun sag mir, Ingrid, wo ist dein Vater?«
Ihre Augen verrieten blanke Furcht. »
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