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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht um Mondkind handelte, erfüllte sie mit Erleicht e rung und machte sie argloser als sonst.
    Wisperwind stieg über ein paar Röhren, die offenbar erst kürzlich geöffnet worden waren. Dahinter befanden sich riesige Tische, zu groß, um vom Rand aus bis zur Mitte zu greifen. Auf ihnen lagen zahllose Papierrollen, kreuz und quer, über- und untereinander. Alles war mit einer dicken Schicht aus Ruß und Staub bedeckt.
    » Landkarte n «, entfuhr es Niccolo fasziniert. » Mein Vater hat solche gehabt. Auf der Wolkeninsel waren Karten verboten, aber wir hatten trotzdem welche. «
    Nugua hatte noch nie eine Landkarte gesehen und war nicht sicher, wozu man sie benötigte. Die Drachen waren auf ihren Wanderungen durch die Weiten Chinas den Kraftlinien der Erde gefolgt, und selbst auf sich allein gestellt hatte Nugua nie eine Karte vermisst. Sie war an Flüssen entlanggewandert, an Gebirgszügen, manchmal auch über die Straßen der Menschen, die so achtlos die gewaltigen Landschaften durchschnitten. Auf Zeichnungen war sie dabei nie angewiesen gewesen – zumal die meisten offenbar eher verwirrend aussahen, von einer Vielzahl von Linien, Kreisen und winzigen Schriftzeichen überzogen.
    Niccolo hingegen wirkte durchaus vertraut damit. Er beugte sich mit Wisperwind über die Rollen, öffnete viele, legte sie wieder beiseite, betrachtete andere und diskutierte dann und wann mit der Kriegerin, ob die Landschaft auf dieser oder jener Karte wohl mit jener übereinstimmte, in der sie sich gerade befanden. Dichte Staubwolken wallten empor, und oft genug endete jedes Gespräch in Husten und Flüchen.
    Nugua verlor schnell das Interesse und fragte sich, wie es Li und Feiqing gerade erging. Das alles hier kam ihr vor wie Zeitverschwendung, kostbare Minuten, bald Stunden, die die beiden anderen mit Wühlen, Verwerfen und weiterem Suchen verbrachten.
    » Hier! «, rief Wisperwind schließlich, als Nugua schon allen Ernstes erwog, Niccolo kurzerhand am Arm zu packen und mit sich nach oben zu zerren. » Das ist es. «
    » Bist du sicher? «, fragte er.
    Beide hatten Nugua den Rücken zugewandt, und so konnte sie nicht erkennen, was sie da betrachteten – zumal Wisperwind selbst hier ihren großen Strohhut aufbehielt. Noch eine Karte, ohne Frage, mit dem gleichen krakeligen Zeichenchaos übersät wie alle anderen. Nugua trat näher heran und blickte über Niccolos Schulter.
    » Das ist die richtig e «, sagte die Kriegerin überzeugt. » Und, warte … hier … nein, hier! Das ist der Ort. «
    » Wirklich? « Niccolo war ganz atemlos vor Aufregung, und ein wenig davon färbte nun auch auf Nugua ab.
    Wisperwind hatte den Finger auf ein paar Zacken gelegt, die – das erkannte Nugua erst beim zweiten Hinsehen – Berge darstellen sollten. Aber so sah doch kein Gebirge aus! Warum Abbilder von etwas erschaffen, das in Wahrheit so viel größer, grandioser und wunderbarer war?
    » Es ist ein Ta l «, sagte Wisperwind. » Ungefähr hier. «
    Niccolo beugte sich noch tiefer über die Karte und kniff die Augen zusammen. » Wie weit ist das? «
    » Ein paar Tagesreisen. Ich war selbst nie dort, aber in den Aufzeichnungen meines Clans gibt es Hinweise auf Orte wie diesen. Manche mögen erfunden sein, andere sind es nicht. Ich habe die Schriften des Großen Yu studiert, sein Shanhaijing, den Führer durch die Berge und Meere, eine alte Sammlung aus den Zeiten der Streitenden Königreiche. Darin finden sich allerlei Beschreibungen, nicht nur vom Drachenfriedhof, auch von der Wüste des Wandernden Sands, von den Neun Toren am Berg Kunlun und – « Sie brach ab, als sie sah, dass Niccolo nur Augen für die Karte hatte.
    » Und wo sind wir? «, fragte Nugua.
    » Ungefähr hie r «, sagte Niccolo.
    Wisperwind legte einen Finger auf die Karte, weiter wes t lich. » Hier. «
    Nugua runzelte die Stirn. » Aber wir sind gar nicht eingezeic h net. Wie könnt ihr da wissen, dass wir dort sind? «
    Die Kriegerin lächelte. » Wie könnten wir eingezeichnet sein, wo wir doch gerade erst hierher gekommen sind? «
    » Eben. « Nugua verschränkte stur die Arme. » Deshalb sind solche Karten auch zu nichts nütze. «
    Niccolo rollte das Papier zusammen, knickte es nach kurzem Zögern einmal in der Mitte und schob es unter sein Wams. Nugua schüttelte stumm den Kopf, wollte aber insgeheim nicht ausschließen, dass die Karte doch zu etwas gut sein mochte. Also zog sie ihn nicht damit auf – immerhin schien ihn das Ding glücklich zu machen.
    Sie verließen

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