Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Wirklich? «
Sie lachte leise. » Schau mich nicht so misstrauisch an. Ich will dir helfen. «
Er glaubte ihr, und das brachte ihn nur noch mehr aus der Fassung. Er hätte ihr alles geglaubt. Sein Handrücken pochte noch immer, wo ihre Lippen ihn berührt hatten.
» Die Lavatürm e «, sagte sie.
» Was? «
» Wenn du die Lavatürme findest, findest du vielleicht auch deine Antworten. Die Menschen, die dort leben, sind Freunde der Drachen. Jedenfalls erzählen sich das die Xian. «
» Wie kann ein Turm aus Lava sein? « Die Ältesten vom Volk der Hohen Lüfte hatten einmal geschildert, wie die Insel vor vielen Jahrzehnten einem Vulkanausbruch gefährlich nahe gekommen war. Die Luft war von Schwefel verpestet gewesen, und es hatte Jahre gedauert, ehe der Regen die Asche von den Wolkenbergen gespült hatte.
Mondkind schüttelte den Kopf. » Die Türme stehen auf Lava. Oder schwimmen darin. « Sie deutete hinüber zur Lichtung, wo Feiqing heftig gestikulierte und auf Nugua einredete. » Frag deinen klugen Freund. Er wird dir alles darüber erzählen. «
Sie wich zwei Schritte zurück. » Leb woh l «, sagte sie.
Ihr Abschied war so unvermittelt wie schmerzlich. » Du gehst fort? «
» Nicht fort. Nur weiter. Alles ist in Bewegung. « Sie lächelte, und wieder fand er, dass sie dabei tieftraurig aussah; als könnte er plötzlich durch eine Maske sehen und erkennen, was sich darunter verbarg. » Wir treiben auf Strömungen, die mächtiger sind als wir. Deine fließt in eine andere Richtung als meine. «
» Aber wir könnten zusammen reisen! «
» Ich suche Wisperwind. Du einen Drachen. Wie groß ist wohl die Wahrscheinlichkeit, beide am selben Ort zu finden? «
Seine Stimme klang belegt. » Geh noch nicht. «
» Die Xian werden mich finden. «
» Du hast selbst gesagt, dass sie nicht böse sind. Vielleicht kann man mit ihnen reden … « Du kennst dieses Mädchen gar nicht, warnte ihn seine innere Stimme. Du weißt nichts über sie. Und sie hat Geheimnisse.
Genau wie ich, dachte er. Und Nugua. Und Feiqing.
Ihm wurde bewusst, dass er die Hand nach ihr ausgestreckt hatte und dass es aussah, als wollte er sie festhalten. Stockend ließ er sie sinken.
» Versuch es in den Lavatürme n «, sagte sie noch ei n mal. » Vielleicht findest du dort eine Antwort. «
Sie hob ihm die rechte Hand entgegen. Der Ärmel fiel zurück, entblößte ihre zierlichen Finger – und das, was sie hielten.
Ein weißes Seidenband, so lang wie Niccolos Unterarm.
» Das ist für dic h «, sagte sie, zeichnete mit der Fingerspitze ein unsichtbares Muster darauf und legte es in seine Hand. Verwirrt starrte er es an.
» Trag es bei di r «, bat sie.
» Aber – «
Sie schloss seine Lippen mit der Ahnung eines Kusses, zu schnell, als dass er sicher sein konnte, ob er sich die Berührung nicht nur eingebildet hatte.
» Bald wirst du verstehe n «, flüsterte sie. » Vielleicht. «
Dann huschte sie davon, wehte tiefer in den nächtlichen Wald.
Er rief ihren Namen.
Ihr Lächeln flackerte noch einen Augenblick länger in der Finsternis wie ein Mond hinter milchigem Dunst, dann zerstob es gemeinsam mit dem Rest ihrer weißen Silhouette in den Schatten.
DER MöNCH
» Ich? «, kreischte Feiqing und schlug die Hände überm Kopf zusammen. Bei ihm sah das ziemlich komisch aus. » Wie kommt sie darauf, dass ich mehr über die Türme wissen könnte? «
Niccolo seufzte. » Sie hat gesagt, ich soll dich danach fragen. «
» Aber … ich meine, die Lavatürme! « Der Rattendrache ve r drehte die Augen. » Sie sind nie am selben Ort. Und hast du überhaupt eine Ahnung, wie groß China ist? Sichuan liegt im Süden des Reiches. Wenn die Türme gerade irgendwo im Norden sind, dann wären wir Monate dorthin unterwegs! Vielleicht Jahre! « Er plusterte die Backen zu einem neuen Wortschwall auf, aber Niccolo kam ihm zuvor.
» Warte mal. « Er schüttelte verständnislos den Kopf. » Wie meinst du das: Sie sind nie am selben Ort? «
» Bei allen Weisen und ihren dicken Frauen! « Feiqing raufte sich in Ermangelung von Haaren den Drachenkamm. » Weißt du denn gar nichts? «
Niccolo spielte mit dem Seidenband an seinem Gürtel und presste wütend die Lippen aufeinander. Er ärgerte sich über Feiqing, über sich selbst, über die Ungerechtigkeit der Welt. Und ganz besonders darüber, dass er allmählich das Gefühl hatte, tatsächlich nicht das Geringst e z u wissen. Nichts über China, irgendwelche Türme – und schon gar nichts
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