Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
du mir auch ein wenig von dir selbst geschenk t «, flüsterte sie, ohne seine Hand loszula s sen. » Ich weiß Dinge über dich. «
Niccolo wich eine Handbreit zurück und starrte erst sie ve r wundert an, dann die beiden anderen. Mondkind hatte zu leise gesprochen, als dass Nugua und Feiqing sie hätten verstehen können.
» H e «, empörte sich der Rattendrache, » w as soll das? «
Nugua ballte die Fäuste, wirbelte herum und stapfte auf den toten Kranich zu. Sie beugte sich über ihn, um ihn zu unters u chen, aber in Wahrheit wollte sie wohl nur vermeiden, dass jemand sah, wie wütend sie war.
» Gehen wir ein paar Schritt e «, sagte Niccolo zu Mondkind und fragte sich einen Herzschlag später, ob wirklich er da gesprochen hatte.
Sie hielt noch immer seine Hand, als sie ihn von den anderen fortführte, tiefer zwischen die Bäume. Es gab kaum einen Stamm am Rand der Lichtung, der von den zerfallenen Schwe r tern nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Überall waren breite Splitter abgesprengt worden, und es waren viel mehr Bäumstämme geborsten, als Niccolo auf den ersten Blick wahrgenommen hatte.
Nach zwanzig Metern blieb Mondkind stehen und wandte sich zu ihm um. » Ich möchte dir etwas vorschlage n «, sagte sie. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er dabei in ihre Augen, auf ihre Lippen oder den wunderschönen Hals schauen sollte. » Ich vertraue dir, und du kannst mir vertrauen. «
Er nickte.
» Nugua mag dic h «, sagte sie. » Hast du das gewusst? «
» Nugua mag niemanden. Nur sich selbst. «
Mondkind lächelte. » Du täuschst dich in ihr. Sie ist ein guter Mensch. Sie weiß es nur noch nicht. «
Weil sie nicht einmal wahrhaben will, dass sie überhaupt ein Mensch ist, dachte er. Stattdessen aber sagte er: » Hast du mich deshalb hierher geführt? Um mit mir über Nugua zu reden? «
Sie schüttelte den Kopf. » Ich weiß, dass du Wisperwind bege g net bist. Und du weißt, dass ich es weiß. « Sie hob seine Hand an ihre Lippen – und küsste sie flüchtig. Ein Blitzschlag setzte jede Faser seines Körpers in Flammen. » Ich kann Silbe r dorn an deinen Fingern schmecken. «
» Sie hat es mir zugeworfe n «, sagte er stockend. » Als wir gegen Raunen gekämpft haben. « Genau genommen hatte sie gekämpft, und er hatte nur ein paar Kletterpflanzen zerschni t ten. » Wisperwind hat mir das Leben gerettet. «
» Alles, was ich verlange, ist, dass sie mir die Schwerter z u rückgibt. Ohne sie werden mich die Xian früher oder später töten. « Sie klang nicht furchtsam, aber in ihren Augen stand unausgesprochene Trauer – und ein Hoffnungsschimmer.
» Was erwartest du von mir? «, fragte er.
» Wo bist du ihr begegnet? «
Er holte tief Luft. » Etwa eine Woche zu Fuß von hier. In einem Tal. Aber nach so langer Zeit wird sie längst über alle Berge sein. « Er musste sich eingestehen, dass ihn das ziemlich erleic h terte.
» Was für ein Tal war das? «
» Ein Tal eben. Sehr groß. Viel Wald. « Es kam ihm leichter vor, in kurzen Sätzen zu sprechen, während sie ihn ansah. So konnte er besser Luft holen. » Du musst nur den Raunen nachg e hen. Sie strömen von überallher dorthin. «
Ihre rechte Augenbraue rutschte nach oben. » Das ist ung e wöhnlich. Raunen sind nicht besonders gesellig. «
» Ich an deiner Stelle würde mich von dort fern halten. «
Ihr Lächeln strich über ihn hinweg wie die sanfte Berührung einer Feder. » Falls ich Wisperwind finde, dann gebe ich ihr die Chance, mir die Schwerter freiwillig zurückzugeben. Wenn sie das tut, geschieht ihr nichts. «
Es kostete ihn Überwindung, die nächste Frage zu stellen. » Du hast eben was von einem Handel gesagt. «
» Allerdings. « Sie ließ seine Hand los, rückte aber noch näher an ihn heran. Er roch Rosen und Lavendel und noch etwas anderes, das ihn ganz durcheinander brachte. » Wenn ich mich nicht täusche, suchst du auch etwas. «
Er entschied, aufrichtig zu sein. » Einen Drachen. «
» Die Drachen sind verschwunden. Auch die Xian suchen nach ihnen und können sie nicht finden. «
» Kennst du einen Ort, an den die Drachen gehen, um zu ste r ben? «
» Der Drachenfriedhof? « Sie kräuselte die Stirn. » Ich bin nie dort gewesen, noch weiß ich, wo er liegt. «
Enttäuscht schlug er die Augen nieder. » Angeblich gibt es dort einen Drachen. Den Wächter des Friedhofs. Ich will versuchen, ihn zu finden. «
» Ich weiß, wer dir vielleicht eine Antwort auf deine Fragen geben könnte. «
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