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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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bei aller Überraschung und Entrüstung noch nicht einmal ansat z weise erfassen konnte, wie sensationell diese Entdeckung war.
    Von Kind an hatte man ihr beigebracht, dass die Funktion s weise der Pumpen unbekannt war. Das alte Wissen um ihre Erbauung war schon vor Generationen verloren gegangen. Nicht einmal die Pumpeninspekteure wussten, wie das Innere der schwarzen Türme aussah. Der Große Leonardo hatte sie vor einem Vierteljahrtausend entwickelt, mit ihrer Hilfe war die Wolkeninsel erschaffen worden. Die Technik, die er dazu benutzt hatte, war seither in Vergessenheit geraten.
    Und nun lag all das vergessene Wissen vor ihr ausgebreitet auf dem staubigen Boden eines Schlafzimmers.
    Denk nach!, hämmerte es in ihrem Kopf. Du darfst jetzt nichts übersehen. Nicht das kleinste Detail!
    Warum hier? Weshalb unter dem Bett des Schattendeuters? Hätte ihr Vater von den Plänen gewusst, dann hätte er ihr davon erzählt. Viel wahrscheinlicher war, dass nicht einmal Carpi selbst sie aus der herzoglichen Geheimbibliothek gestohlen hatte, sondern einer seiner Vorgänger. Vielleicht schon vor hundert, eher noch zweihundert Jahren. Seitdem mochten sie in diesem Turm versteckt liegen.
    Aber warum?, fragte sie sich erneut. Weshalb war die Existenz dieser Pläne all die Jahre über verschwiegen worden?
    Hätten die Zeitwindpriester dahinter gesteckt, Alessia hätte es zumindest nachvollziehen können. Die Priesterschaft unte r drückte seit jeher jegliche Form von Überlieferung und Wissen. Aber der Schattendeuter?
    Wieso, verdammt?
    Einmal mehr horchte sie in die Tiefen des Turms. Nichts. Kein noch so leiser Laut.
    Sie zog auch die übrigen Rollen unter dem Bett hervor, zwölf Stück, alles in allem. Jede mit dem Siegel der Medici geken n zeichnet, jede einzelne mit Dutzenden Zeichnungen rätselhafter Mechanismen überzogen. Vielleicht der größte Schatz, den das Volk der Hohen Lüfte jemals besessen hatte.
    Ein einziger Blick genügte, um zu erfassen, dass heutzutage niemand auf der Insel mehr in der Lage war, eine derartige Konstruktion zu erbauen. Gegenstände aus Metall wurden von einer Generation an die nächste vererbt, unbrauchbare Messe r klingen und Pflüge eingeschmolze n u nd wiederverarbeitet. Undenkbar, solche gewaltigen Bauten wie die Aetherpumpen ohne die nötigen Rohstoffe herzustellen.
    Und trotzdem – es war falsch, diese Pläne geheim zu halten.
    Ihr Vater musste davon erfahren, das ganze Volk. Allein die Vorstellung, welche Gesichter die Priester machen würden, zauberte Alessia ein Grinsen um die Mundwinkel. Alles würde anders werden. Die Priesterschaft würde an Macht verlieren. Womöglich geriete gar der Glaube an den Zeitwind ins Wanken.
    Hatten sich die Schattendeuter ebenso vor der Bedeutungsl o sigkeit gefürchtet wie die Priester? Hatten Carpi und seine Vorgänger diese Dokumente deshalb unter Verschluss gehalten? Unter einem Bett! Und überhaupt, was für ein erbärmliches Versteck war das?
    Alessia riss einen Streifen vom Bettlaken ab und band die zwölf Rollen damit zu einem großen Bündel zusammen. Irgendwie musste es ihr gelingen, sie zu sich nach Hause zu schaffen. Was, wenn es regnete? Sie musste sie sicher verp a cken. Aber womit?
    Während sie sich umschaute, fiel ihr noch etwas ein. Wenn nun Carpi die Rollen nur provisorisch unter dem Bett verstaut hatte? Womöglich hatte er sie neulich erst studiert und nur kurzfristig beiseite geschoben. Weil ihm etwas Wichtiges eingefallen war. Oder dazwischengekommen. Weil er sich in aller Eile aufgemacht hatte, um etwas zu überprüfen!
    Sie sprang auf und lief ans Fenster. Mit dem Handballen wischte sie Staub vom Glas und sah hindurch. Um die Wolke n gipfel lag ein heller Rand; von der Rückseite be schien sie noch immer die sinkende Sonne. Schmal, aber deutlich zu erkennen, standen dort oben die Aetherpumpen.
    Da wusste sie, wo sie den Schattendeuter suchen musste.
     

 
     
    UNTER DEM AETHER
     
    N achdem Alessia die Rollen endlich in ihrer Kammer ve r steckt hatte, war es dunkel. Sie lagen jetzt – ausgerechnet! – unter ihrem eigenen Bett. Auf die Schnelle war ihr kein besserer Ort eingefallen.
    Ihr Vater war noch immer mit den ewig gleichen Beratungen beschäftigt. Sie wich den Mägden im Haupthaus aus, die sich sonst wohl gewundert hätten, weshalb die Tochter des Herzogs so spät am Abend noch einmal ausritt. Im Stall wählte sie ein neues Pferd, führte es am Zügel ins Freie und ließ es ohne Hast vom Hof traben. Viele Häuser der

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