Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
trat sie durch das eiserne Rechteck ins Innere der Aetherpumpe.
Schwärze umfing sie. Der Wind, der draußen um die Eise n wände strich, klang hier drinnen wie das Winseln eines verletzten Tiers. Von irgendwoher ertönte ein metallisches Klappern.
Sie hob den Blick und ließ ihn langsam aufwärts durch die Finsternis schweifen. Erst als ihr Kopf weit im Nacken lag, sah sie den hellen Fleck, so hoch, dass er ihr seltsam unwirklich erschien. Quälend langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Im armseligen Schein des Lichts von dort oben schälten sich ganz allmählich Formen aus der Schwärze.
Noch ein paar Schritte weiter, und sie wäre gegen eine Wand gelaufen. Die gegenüberliegende Seite konnte das noch nicht sein. Vielmehr schien sich im Inneren der Aetherpumpe ein zweiter, schmalerer Turm zu befinden. Ein Rohr, dachte sie staunend, durch das der Aether in die Tiefen der Wolkeninsel floss.
Je länger sie reglos dastand und ihren Augen Zeit gab, desto klarer wurde ihre Sicht. Nach einer Weile wagte sie, mit dem Fuß weiter nach vorn zu tasten – und trat prompt ins Leere. Mit einem erschrockenen Laut zuckte sie zurück, biss sich auf die Lippen und kämpfte abermals gegen den Drang an, die Flucht zu ergreifen.
Da war ein Loch vor ihr im Boden! Absolut unsichtbar im Dunkeln. Die vage Helligkeit von oben reichte nicht bis zu ihr herab.
Vorsichtig ging sie in die Hocke und tastete mit der Hand nach der Kante. Nachdem sie dem Verlauf ein Stück weit gefolgt war, erahnte sie, dass es sich um einen Schacht handelte, der rund um das mächtige Rohr im Zentrum der Pumpe verlief. Mögliche r weise bedeutete dies, dass es einen Weg gab, an dem Rohr entlang nach oben oder unten zu klettern.
Das Licht über ihr bewegte sich. Und jetzt hörte sie eine Stimme. Nein, zwei Stimmen.
Männer, die miteinander stritten.
Hohl hallten die Worte von den Eisenwänden wider, wurden auf dem Weg nach unten verzerrt und waren nicht mehr zu verstehen.
Alessia verengte die Augen und starrte noch angestrengter in die Höhe. Sie machte wieder einen Schritt zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und in den Schacht zu stürzen. Er mochte zwei Meter tief sein oder zweihundert, sie wusste es nicht. Und sie hatte nicht vor, es herauszufinden.
Jetzt erkannte sie, dass das Licht von einer Öllampe stammte. Jemand hielt sie in der ausgestreckten Hand. Und da war noch eine zweite Gestalt. Beide standen au f e iner Wendeltreppe, die an der Außenseite des Rohrs entlanglief. Der Streit wurde heftiger. Jetzt waren die Wortfetzen laut genug, um teilweise verständlich zu sein.
» … nichts davon gesagt … «
» … kein Geheimnis bleiben … «
» … wenn irgendwer erfährt … «
» … der Aether befiehlt … «
Der Aether befiehlt?, dachte Alessia verwirrt.
Plötzlich ertönte ein Schrei, gefolgt von einem lang gezog e nen » Nein! « .
Sie erkannte zu spät, dass etwas durch die Finsternis auf sie zuraste. Sie hörte es kommen, bevor sie es sah, ein anschwelle n des Brüllen, vermischt mit einem sausenden Laut. Da stürzte ein Mensch in die Tiefe!
Kaum hatte sie den Gedanken gefasst, schlug der Mann auch schon auf, unmittelbar vor ihr. Der Luftzug war so nah und der Aufprall so heftig, dass sie im ersten Augenblick glaubte, sie sei gestreift worden, vielleicht verletzt. Sie stolperte zurück, beinahe niedergeworfen von Schock und Entsetzen. Ihre Stimme versagte, als sie schreien wollte, nicht mal ein Röcheln kam über ihre Lippen.
Dafür ertönte ein Keuchen aus der Dunkelheit vor ihr. Der Mann lebte noch! Sie konnte ihn nicht sehen, nicht einmal seinen Umriss, aber sie hörte ihn stöhnen. Dann ein Rascheln, als er sich bewegte. Plötzlich legte sich eine Hand um ihren Knöchel und packte so fest zu, dass es wehtat.
Alessia erschrak bis in die Haarspitzen. Sie wollte sich losre i ßen. Zurückspringen.
Aber es ging nicht.
Ihr Blick schoss nach oben, am Innenrohr der Aether pumpe hinauf. Der Lichtpunkt war verschwunden. Erst einige Her z schläge später wurde ihr der Grund bewusst: Die Lampe befand sich von ihr aus gesehen jetzt hinter dem Rohr. Wer immer sie trug, er bewegte sich weiter auf der Wendeltreppe um das Rohr herum. Entweder weiter nach oben – oder aber zu ihr herunter!
Panik drohte ihre Bewegungen einzufrieren. Stockend sank sie in die Hocke und legte ihre Hand auf jene des Mannes, der da mit ersterbendem Röcheln vor ihr lag. Sie wollte etwas sagen, ihn irgendwie trösten, am besten gar
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