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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fesseln vermochte. Zwischendurch horchte sie in die Tiefen des Turms. Nur das Säuseln des Windes. Es klang wie leises Atmen. Hatte sie sich wirklich gründlich genug in den beiden tieferen Etagen umgesehen? Was, wenn Carpi hilflos oder gar tot hinter einem der Tische lag?
    Was, wenn sich dort jemand versteckte?
    Ein Schauder kräuselte die Härchen in ihrem Nacken. Plöt z lich verschwamm die Schrift auf dem Papier vor ihren Augen. Hastig legte sie das Buch zurück, ging wiede r z ur Treppe und schaute hinunter. Niemand. Natürlich nicht. Aber sie sah nicht den ganzen Raum. Dazu musste sie wohl oder übel hinunterste i gen.
    Vielleicht war es am besten so. Vielleicht sollte sie einfach machen, dass sie von hier fortkam. Schnell.
    Sie warf einen letzten Blick auf all die Schätze aus Papier, dann schlich sie die Stufen hinunter, diesmal merklich leiser als bei ihrem Aufstieg.
    Im ersten Stock schaute sie sich gründlicher um als vorhin, warf jetzt auch einen Blick in die Kleidertruhe. An ihrem Boden lag ein altes Wams, die übrige Kleidung war im Turm verteilt. Alessia klappte den Deckel langsam wieder zu, um keinen Lärm zu machen. Die Scharniere quietschten. Sie blickte in alle Ecken und ging schließlich – nach einigem Zögern – vor dem Bett auf die Knie. Ihr war mehr als nur unwohl, als sie den Kopf beugte, um darunter zu schauen. Eine Decke lag auf der mit Stroh gestopften Matratze, ihre Ränder reichten bis zum Boden. Mit klopfendem Herzen hob Alessia den Saum mit dem Zeigefinger nach oben.
    Der dunkle Spalt unter dem Bett war nicht leer. Das Licht reichte nur wenige Handbreit in die Tiefe.
    Ein Mensch!
    Nein, erkannte sie dann. Was sie im ersten Moment für Arme und Beine gehalten hatte, waren weitere Papierrollen, fast gänzlich im Schatten verborgen.
    Mit einem Seufzen ließ sie den Deckensaum wieder fallen. Aber etwas stimmte nicht. Sie brauchte einen Atemzug, ehe ihr Verstand die Dinge sortiert hatte und sie stutzig machte. Noch einmal schob sie die Decke beiseite, warf einen zweiten Blick auf die Rollen im Dunkeln.
    Am Rand der vordersten Papierrolle war ein Siegel ang e bracht. Das Siegel der Medici. Es wurde heutzutage nicht mehr benutzt, aber Alessia kannte es von den verbotenen Büchern, die sie zu Hause aufbewahrte. Alle Schriften, die schon den Ahnen ihrer Familie in Florenz gehört hatten, trugen dieses Zeichen. Dass auch diese Papierrollen damit gekennzeichnet waren, bedeutete dreierlei. Erstens, sie stammten eindeutig aus dem Besitz des Herzogs. Zweitens, sie hatten sich in der Gehei m kammer befunden, in der alle verbotenen Schriften der Familie lagerten und zu der allein Alessia und ihr Vater Zugang hatten. Und drittens, sie waren zu einer Zeit erstellt worden, als das Volk der Hohen Lüfte noch gar nicht existiert hatte.
    Alessia schob den Arm unters Bett und zog wahllos mehrere Rollen hervor. Sie waren lang, fast einen Meter, und sie trugen ausnahmslos das herzogliche Siegel. War es möglich, dass ihr Vater sie dem Schattendeuter anvertraut hatte? Schwer vorstel l bar. Dass der Herzog irgendein Stück aus der geheimen Bibliothek herausgab, hielt sie für undenkbar.
    Sie löste ein Band, das eine der Rollen zusammenhielt, und breitete das Papier am Boden aus. Es war bräunlich verfärbt und sehr brüchig. Als sie es glatt strich, erschien sofort ein feiner Riss. Sie musste noch vorsichtiger sein.
    Es waren Zeichnungen. Erstaunliche geometrische Entwürfe, voll geschrieben mit Zahlen und Anmerkungen in einer unlese r lichen Handschrift. Für Alessia sahen sie aus wie Pläne einer wunderlichen Maschinerie, ohne dass sie deren äußere Form oder gar Funktion erkennen konnte. Es schien sich um Teile eines komplizierten Innenleben s z u handeln, ein Wirrwarr aus Zahnrädern, Spulen und Kettenzügen.
    Sie nahm eine zweite Rolle und öffnete sie über der ersten.
    Alessia blieb die Luft weg. Der Umriss war unverwechselbar, auch ohne Kenntnis der Details im Inneren.
    Sie rupfte die dritte Rolle auf, jetzt sehr viel achtloser, so aufgeregt war sie. Am Rand bröckelten winzige Papierflocken ab, aber das war ihr im Augenblick egal.
    Noch mehr Zeichnungen haarfeiner mechanischer Konstrukt i onen. Und auf der rechten Seite, von unten nach oben, eine weitere Darstellung der gesamten Außenansicht.
    Ihre letzten Zweifel vergingen. Dies waren Baupläne.
    Die Baupläne der Aetherpumpen.
    Sie stemmte beide Handflächen auf das obere Papier und holte tief Luft. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie

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