Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
erschrak beim Klang seiner eigenen Stimme.
»Er soll ... aufhören«, stöhnte sie und deutete zitternd zu Xixati hinauf, der sich hoch über ihnen immer tiefer in die weiche Masse des Riesenherzens grub. Aber ließ sich Pangu auf diese Weise tatsächlich töten? Und würde der Aether gemeinsam mit ihm zu Grunde gehen?
Mondkinds zierlicher Körper bäumte sich auf, eine Serie von Krämpfen, die sie von Kopf bis Fuß erfasste. Gerade noch hatte ihr Hinterkopf auf Niccolos Oberschenkeln geruht, als ihr bleiches Gesicht abrupt in einer Fontäne schwarzen Haars nach oben stieß. Sekundenlang saß sie aufrecht. Doch als Niccolo eine Hand nach ihr ausstreckte, sank sie zurück, scheinbar schwächer als zuvor. Er fing sie auf und bettete sie vorsichtig in seinem Schoß.
Tief in sich spürte er einen scharfen Schmerz, gefolgt von noch stärkerem Ziehen und Zerren als zuvor. Der Aether war jetzt überall, in jeder Pore, jeder Faser seines Körpers, und er zürnte, weil Niccolo sich gegen ihn stellte.
Vernichte ihn!, flüsterte es in ihm, und obwohl die "Worte den Beigeschmack von Einbildung hatten, klangen sie zugleich erschreckend real. Töte den Drachen für mich!
Niccolo wehrte sich, so gut er nur konnte. Er war kein schlichtes Gemüt wie die Juru, mit denen der Aether leichtes Spiel gehabt hatte. Aber er besaß auch nicht die Kräfte der Drachen, die jeden Versuch einer Beeinflussung mit einem Schnauben abschütteln konnten.
Vernichte ihn! Töte meinen Feind! Mach dem Schmerz ein Ende!
Die Gefahr, dem unheimlichen Drängen nachzugeben, war überwältigend. Es war nicht allein der scharfe Befehlston, der durch seine Gedanken schnitt und alles andere beiseitefegte, sondern zugleich ein Locken, ein sanftes Spiel auf der Klaviatur seiner geheimen Wünsche und Hoffnungen. Wenn er half Xixati aufzuhalten, dann würde alles gut werden. Seine Schuld würde mit dem Wolkenvolk untergehen. Er würde die Macht erhalten, die neue Welt des Aethers eigenhändig mitzugestalten. Mondkind würde wieder gesund und ... da war auch Nugua, die kleine, struppige, streitlustige Nugua, die jetzt ganz abrupt und unverhofft aus seinen Erinnerungen auftauchte, in einer Rolle, die doch eigentlich gar nicht die ihre war, nicht nur als Freundin, sondern - Um ihn explodierte weiße Seide.
Mondkind stieß einen Schrei aus, als sie auffuhr und steil nach oben raste wie ein Geschoss. Zorn verzerrte ihr Gesicht. Das weiße Glühen in ihren Augen zog zwei helle Schlieren durch die Dunkelheit. Die weißen Bänder und Schleppen ihres Kleides flatterten. Niccolo hatte sie schon einmal so gesehen, als sie über den stillen Bergsee herangerauscht war, um den Unsterblichen Tieguai zu töten. Auch damals hatte sich die Seide um sie geöffnet wie eine weiße Blüte, erst wunderschön, dann tödlich, als die Bänder sich verfestigten und lanzengleich ausschwärmten.
»Mondkind!« Er taumelte auf die Füße. »Tu das nicht! Du darfst ihm nicht nachgeben!«
Aber sie achtete nicht mehr auf ihn. Seide wogte durchs Dunkel, ihr schwarzes Haar flatterte meterlang um ihr blasses Gesicht.
Wie eine vielarmige Göttin des Todes raste sie durch die Luft und stürzte sich auf Xixati.
Götterklingen
Nugua hörte den Lärm, lange bevor sie die Herzkammer erreichte. Xixatis Brüllen ließ sie noch schneller werden. Ihr Atem raste, als sie schließlich über Jurukadaver und schuppige Wälle durch die Öffnung stolperte.
Sie brauchte eine Weile, um die Veränderung in ihrem ganzen Ausmaß zu erfassen. Der gewaltige schwarze Muskelberg, der statt eines gleißenden Diamanten die Grotte beherrschte ... das Netz aus Adern, die wie Fäden um einen Spinnenkokon in alle Richtungen reichten ... die verschlungene Masse aus Juru und Drachen am Boden, die vom Fleisch des Ur-Riesen aufgesogen wurde.
Nichts in dieser Grotte ähnelte mehr dem überirdischen Ort, an dem Nugua die Schlacht der Drachenclans gegen die Felsenwesen mit angesehen hatte. Die Helligkeit des Diamantherzens hatte ihr Angst gemacht, doch das war etwas ganz anderes gewesen als die Abscheu und Verzweiflung, die sie nun beim Anblick dieses Molochs aus pulsierendem Fleisch und Schorfgeschwüren überkam.
Niccolo hatte noch nichts von ihrer Ankunft bemerkt. Er stand mit dem Rücken zu ihr unterhalb der turmhohen Muskelwand und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Er rief etwas hinauf, doch das ging im Getöse des verzweifelten Duells unter, das dort oben tobte.
Inmitten des Adergewirrs, umgeben von Goldglanz
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