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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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stehen, damit sie sofort hören, wenn jemand unten aufsperrt.
    »Ich kann was«, sagt Jascha. Er stellt die Flasche ab und zieht den Mantel aus. Er klettert an einem Stützpfosten den Dachstuhl hinauf, aber nur zur Hälfte. Dann geht er auf dem Querbalken langsam bis zum nächsten Pfosten und dreht sich um.
    »Kruzitürken«, sagt der Einarmige. Er ist aufgestanden.
    Jascha lässt ihn nicht aus den Augen und greift dabei hinter sich. Er holt aus der Gabel im Gebälk das Seil, das er vom Firstbalken losgebunden hat. Aufgeregt, aber ohne Sorge, dass er abstürzen könnte, balanciert er auf dem Balken zurück, setzt sich und knüpft das Seil darum. Er prüft den Knoten sorgfältig.
    »Was machst du da?«, sagt der Einarmige, den Kopf im Nacken.
    Jascha lässt sich am Pfosten ein Stück hinab und fasst die Seilschlinge mit beiden Händen, dann stößt er sich ab und schwingt am Seil. Er kennt jetzt sein Gewicht; schwer war er noch nie, aber seit seine Muskeln gestärkt sind, ist er richtig leicht. Er kann die Beine sowohl um den senkrechten Pfosten als auch um den waagrechten Balken über sich schlingen. Wenn er will, kann er auf den Balken klettern und das Seil losbinden und damit noch höher ins Gebälk steigen.
    Der Einarmige hat es begriffen. »Komm runter«, sagt er.
     Am Morgen holt er von zu Hause Material und Werkzeug. Der Offiziant Adolf Bühler hilft ihm, eine Lattentür zusammenzunageln und mit Scharnieren und einem kräftigen Mauerriegel vor der Nische zu befestigen. Den Sand haben sie hinunterbefördert, und in der Nische sind jetzt nur noch  ein paar übrig gebliebene Bretter und Stangen, dazu Eimer und Säcke, die man nicht oft braucht.
    Der Offiziant, der als Hausmeister im Rathaus auch für Arbeiten im Turm zuständig ist, packt seinen Teil des Werkzeugs in den Kasten und schickt sich an zu gehen, denn er ist außerdem auch noch Feuerwehrkommandant und muss heute die Hitlerjungen schulen, die seine eingezogenen Feuerwehrleute ersetzen sollen.
    Der Einarmige bittet ihn, dem Stadtpolizisten Steidle etwas auszurichten: Die beanstandete Stelle sei jetzt gesichert und der Steidle könne sie vielleicht nach Dienstschluss prüfen und vor Ort dann einen kleinen Klaren kippen, unter kriegsbeschädigten Kameraden.
    Tatsächlich bemüht sich der Stadtpolizist Steidle trotz seines schmerzenden Beins nach Dienstschluss herauf und begutachtet den Verschlag. Der Einarmige zeigt ihm auch das Vorhängeschloss und den Schlüssel, der an seinem Schlüsselbund hängt.
    Sie lassen sich auf der Treppe nieder und reden noch ein wenig vom Krieg. Nicht von diesem Krieg, über den spricht man ungern, da weiß man nicht so recht, was man sagen darf; nein, sie reden von dem Krieg, der den einen den Arm und den anderen sein gesundes Bein gekostet hat. Im Bein stecken ein paar Granatsplitter, und sie drücken den Stadtpolizisten Steidle gleich weniger, wenn er bei einem guten Glas Schnaps mit einem Menschen redet, der den Stellungskrieg in Frankreich auch mitgemacht hat.
    Auf derselben Treppenstufe sitzt der Einarmige später am Abend, nachdem er Jascha aus dem Dach geholt hat. Die Erleichterung, dass mit der Nische alles gut gegangen ist, löst ihm die Zunge.
    »Und morgen«, sagt er jetzt, »nehmen wir das Gerümpel heraus. Dabei hilfst du mir. Wir machen das Mauerloch frei und schlagen über ihm ein paar Nägel ein. Daran hängen wir  die Säcke, die fallen dann über das Loch. Die Stangen lehnen wir davor, und ein paar Bretter müssen wir so verklemmen, dass sie unter Spannung stehen, dann lässt jeder die Finger davon. Für dich machen wir einen unauffälligen Durchschlupf. Klein und wendig, wie du bist, brauchst du nicht viel. Du musst nur aufpassen, dass die Säcke das Loch wieder verdecken, wenn du durchgekrochen bist und am Seil hängst!«
    »Das kann ich mit den Füßen machen, die Säcke ordnen«, sagt Jascha.
    »Das ist gut. Wir üben es ein paar Mal. Du bekommst von mir den Zweitschlüssel für das Vorhängeschloss und musst lernen, von innen durch die Latten zu greifen und zuzuschließen. Das alles ist nur für den Notfall. Aber der kann jeden Tag eintreten. Und jetzt sperre ich dich wieder ins Dach.«
    »Darf ich nicht über Nacht im Turm bleiben?«
    Der Einarmige schüttelt den Kopf. »Morgen vielleicht. Wenn wir den Fluchtweg für dich haben.«
    »Kann ich auf den Eimer?«
    »Lauf.«
    Jascha kommt nur ein paar Stufen weit. »Was ist denn das?«, fragt er, plötzlich atemlos. Mitten auf der Treppe liegt ein

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