Das Wort des Hastur - 12
Blut an Stephans Wange herablief.
»Ihr dürft nicht nachlassen, Mutter«, keuchte Romillira. »Falken töten nicht aus reiner Rachsucht. Macht ihnen das klar. Bitte, Mutter!« Und doch schlug gerade einer der Falken seine Klauen tief in Stephans ausgestreckten Arm.
Benommen beugte sich Mallira nieder und hob vom Boden eine Feder auf. Sanft gurrend strich sie damit dem Vogel übers Gefieder, obwohl dieser sie mit haßerfüllten gelben Augen anstarrte.
Romillira wurde von einem weiteren Stein getroffen und fiel neben ihrem Vater auf die Knie. Sie konzentrierte sich jetzt ganz auf den Falken, der Stephans Arm noch immer in seinen Klauen hielt. Nicht doch, mein Freund, nein. Du bist ein Falke, und Falken sind Freunde des Menschen, nicht seine Gegner. Glaube dem Falkenmeister nicht, er hetzt euch gegen eure Natur auf: Im Rapport mit uns lag immer Vertrauen und gegenseitige Achtung. Geh in Frieden! Geht alle in Frieden! Und vergebt uns, denn wir sind nicht alle schlecht.
Schlagartig war alles vorbei und der Zorn verflogen. Mit einem Freudenschrei erhoben sich die drei Falken in den Abendhimmel – und Romillira flog mit ihnen. Unter sich sah sie das Gelände vorbeiziehen, sah auch die verängstigten Kleintiere, wie sie fluchtartig ins Gebüsch huschten. Und überrascht nahm sie wahr, daß sie plötzlich ein Heißhunger auf Rabbithorn überkam.
Doch Vardomes Zorngebrüll brachte sie in die Realität zurück. Gerade stürzte er sich auf den am Boden liegenden Stephan. »Ihr werdet alle sterben!« Seine krallenartigen Finger gruben sich tief in die Haut, als er Stephans Gurgel umklammerte und würgte.
Aber jetzt griffen Romillira und ihre Mutter den Falkenmeister an. Ihre Fäuste prasselten wie Trommelschläge auf ihn herab. Während Mallira seinen Kopf an den Haaren zurückriß, bearbeitete Lira ihn weiter mit Faustschlägen. Auch Sher kam ihnen zu Hilfe und biß so kräftig er konnte Vardome ins Bein.
Stephan kam wieder zu sich und schloß sich dem Kampf an. Er befreite sich aus Vardomes Würgegriff und streckte seinen deckungslosen Gegner mit zwei gezielten Kinnhaken nieder. Sofort stürzten sich alle drei MacArans auf ihn und drückten ihn zu Boden. Schließlich gelang es ihnen, ihren Feind zu überwältigen und mit Romilliras Haarband und einem Lederriemen von Stephans Stiefel zu fesseln.
»Morgen werden wir dich nach Scathfell bringen«, erklärte Stephan, als er Vardome hochzog. »Dort soll dich mein Cousin und dein Herr für die Verbrechen verurteilen, die du gegen uns, gegen diese unschuldigen Falken und gegen die natürliche Ordnung verübt hast.«
»Nein, kein MacAran soll mich richten!« Vardome starrte seinen Feind mit Todesverachtung an. Und im gleichen Moment starb er – er hatte sich mit seinem Laran selbst gerichtet!
»Er hat es so gewollt«, stammelte Stephan, als er den leblosen Körper vor sich sah. »Er ist zu bedauern. Wenn er mir doch nur rechtzeitig seine Geschichte erzählt hätte! Ich hätte versucht, alles aufzuklären. Auf seine leider irregeleitete Art war er hochbegabt.«
»Welch eine Verschwendung von Leben und Talent.« Mallira konnte eine Träne nicht verbergen. »Aber auf Darkover dürfen wir solche Laster nicht dulden.«
»Wir werden jemanden beauftragen müssen, seinen Leichnam nach Scathfell zu bringen«, sagte Stephan und legte seine Arme um Frau und Tochter. »Kommt, wir wollen nach Hause gehen.«
»Aber was wird jetzt aus den Falken?« erkundigte sich Romillira bedrückt auf dem Rückweg.
Stephan zwinkerte ihr aufmunternd zu, und voller Stolz auf seine Tochter machte er ihr einen Vorschlag. »Kedric wird schon bald wieder gesund sein, und die paar Tage kommst du sicher auch noch ohne die Pflege im Turm aus. Was hältst du davon, wenn du mir solange mit den Falken hilfst? Gemeinsam werden wir es schon schaffen, meinst du nicht auch?«
Romillira war überglücklich. »Herrin der Falken«, flüsterte sie ehrfurchtsvoll.
MARION ZIMMER BRADLEY
Das Wort des Hastur
Als Herausgeberin dieser Anthologien habe ich den Vorteil, die Spielregeln festlegen zu können – und eine dieser Spielregeln besagt, daß ich jeweils mit einer meiner eigenen Geschichten zum Zuge komme!
Ich habe bereits in mehreren Darkover-Büchern das Sprichwort zitiert, daß das bloße Wort eines Hastur ebenso viel zählt wie der Eid jedes anderen Mannes. Die vorliegende Geschichte schildert nun, wie es zu diesem Sprichwort kam; sie handelt von einem jungen Hastur, der unter – gelinde gesagt –
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