Das Wort des Hastur - 12
zurückgeeilt kam. Sie würdigte die beiden kaum eines Blicks, als sie eintrat, sondern stürzte sofort zum Fenster, riß es auf und lehnte sich weit hinaus, um begierig in den Burghof hinabzustarren. »Ist er nicht wunderbar?« fragte sie verzückt.
Floria schaute Gavin nur fragend an, der sich erhob, um selbst einen Blick aus dem Fenster zu werfen. »Wen meint Ihr? Etwa den alten Lord Alton?« fragte er überrascht.
»Nicht doch, du Dummerchen«, kicherte Capella. »Sein Pferd natürlich – den weißen Hengst – ist er nicht prächtig? Eines Tages werde ich auch so ein Pferd haben, ganz genauso wie das da!«
Gavin war sprachlos, und auch Floria fiel dazu nichts mehr ein. Sie erlebte zwar nicht zum ersten Mal, daß eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts über ein Pferd in völlige Verzückung geriet, aber zum ersten Mal mußte sie dieses Phänomen bei einer ausgewachsenen Frau wahrnehmen. Normalerweise kam es zu solchen Anfällen bei Mädchen im Alter von acht oder neun Jahren und waren spätestens mit fünfzehn überwunden – wenn nicht schon früher, besonders dann, wenn das Mädchen tatsächlich viel mit Pferden zu tun hatte. Es dürfte schwer fallen, von einem Tier zu schwärmen, das einem ständig auf die Füße trat, immer versuchte, jede erreichbare Pflanze anzuknabbern, während man doch reiten wollte, auf den Reitkleidern überall seine zotteligen Haare hinterließ und im entscheidenden Moment entweder sich weigerte, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun, oder aber durchging und einen bei erstbester Gelegenheit abwarf. Nein, Floria war ganz bestimmt keine Pferdenärrin, und das war noch gelinde ausgedrückt. Aber die bloße Höflichkeit erforderte es, daß sie auf Capella einging. »Ihr liebt also Pferde, Damisela?«
»Oh ja«, kam die prompte Antwort. »Ich muß Lord Alton dazu kriegen, daß er mich diesen Hengst reiten läßt. Er ist ein Prachttier!« Plötzlich bemerkte sie die Notenblätter auf Florias Schoß. »Was machst du denn damit?« fragte sie mißtrauisch.
»Nichts weiter«, entgegnete Floria ruhig. »Gavin hat sie mir nur schnell zur Ansicht gegeben. Er ist nämlich einer meiner Lieblingskomponisten.«
Capella schaute noch immer etwas argwöhnisch, sagte dann aber nur: »Tante Antonella möchte dich sprechen, und zwar sofort.« Sie ging auf Floria zu und wollte sie schon aus dem Sessel zerren, was Gavin im letzten Augenblick verhindern konnte.
Während Floria sich hastig erhob, nahm er Capella zur Seite und redete ihr ins Gewissen. »Floria ist eine starke Telepathin. Und es gehört sich nicht, sie ohne ihre Einwilligung zu berühren, körperlicher Kontakt mit Fremden verursacht den meisten Telepathen Schmerzen. Außerdem erwartet Floria ein Kind, was sie nur noch empfindlicher macht.«
»Aber das weiß ich doch!« maulte Capella.
»Dann haltet Euch auch bitte daran«, sagte Gavin. »So, und nun werde ich die Damen zur Königin begleiten. Ich habe sie heute noch nicht gesehen.« Beiden bot er einen Arm an. Capella hing wie eine Klette an seinem rechten, während Floria die Fingerspitzen auf seinen linken legte. Und so zogen sie gemeinsam durch die Halle zu den Gemächern der Königin.
Dort angekommen trafen sie auch König Aidan in Begleitung von Lord Aldaran, der gerade der Königin seine Aufwartung machte und sie zu ihrer Genesung beglückwünschte.
»Lord Alton«, platzte Capella dazwischen, »Ihr müßt mir erlauben, Euren herrlichen Hengst zu reiten!«
Lord Alton starrte sie fassungslos an. Anscheinend hat auch er noch nicht ihre Bekanntschaft gemacht, überlegte Floria. Ob die Ridenows sie bislang auf dem Dachboden unter Verschluß gehalten haben?
König Aidan versuchte, die Situation zu retten. »Lord Alton, gestattet mir, Euch Capella Ridenow vorzustellen.«
Nach allen Regeln des Anstands wäre dies eigentlich für Lord Alton das Stichwort gewesen zu versichern, daß es ihm ein Vergnügen sei, die Damisela kennenzulernen, aber dazu schien sich seine Lordschaft im Moment nicht aufraffen zu können. Und Floria fragte sich, wie oft Capella eine solche Reaktion schon bei anderen provoziert hatte.
»Mein Hengst ist ein sehr gefährliches Tier, Damisela«, entgegnete er schließlich mit einem Rest an Höflichkeit. »Ich muß darum bitten, daß ihn außer meinem persönlichen Pferdeknecht niemand zu nahe kommt.«
»Selbstverständlich«, willigte König Aidan ein. »Ich habe bereits Anweisung gegeben, daß man ihn von den anderen Tieren getrennt am Ende des langen
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