Das Wort des Hastur - 12
hatte – jetzt erwies es sich nachträglich als Segen. Und jetzt wurde ihr auch klar, wie sie ihre Verbitterung dazu benutzt hatte, jede drohende echte Bindung abzuwehren. Stets hatte sie sich über jede Kleinigkeit beschwert und dann gewundert, daß selbst ihre Gildenschwestern sie oft mieden. Auch in ihrer Liebe zu Lori hatte sie diese Distanz gewahrt. Warum hatte sie das nie sehen wollen?
»Ich … ich weiß nicht, wie ich dir danken kann.« Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie Ranarl umarmte, und der alte Diener blickte verlegen zur Seite.
»Nicht weinen, Mylady«, tröstete er sie. »Ich tue doch nur meine Pflicht.«
»Ich wäre in jener Nacht gestorben, wenn du und Mara mir nicht geholfen hättet.«
»Es war nicht recht, was Euer Vater tat. Wenn ich nur mehr für Euch hätte tun können, aber ich stand ja in seinen Diensten.«
»Ich weiß, welches Risiko du schon damit auf dich genommen hast. Hat er eigentlich nie Dancers Verschwinden bemerkt?«
Ranarl grinste. »Wir haben einfach behauptet, daß die Stute über einen Zaun gesprungen sei. Euer Vater hatte mit dem Gut so viel zu tun, daß er dem keine weitere Beachtung schenkte.«
Carilla hob das Schmuckkästchen auf und verbarg es sorgfältig unter ihren Kleidern. »Es ist Zeit für mich zu gehen. Die Freundin, die mich begleitet, wartet am Unterstand. Es ist nicht weit von hier, aber sie wird sich Sorgen machen, wenn ich nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück bin.«
»Es freut mich, daß Ihr eine Freundin habt«, entgegnete Ranarl nachdenklich. »Es ist doch ein weiter Weg, besonders wenn man allein ist.«
»Ja, es war wirklich eine lange Reise – aber jetzt bin ich angekommen.« Carilla hatte noch so vieles zu sagen, so viele Pläne zu verwirklichen. Sie wollte Snow Haven wieder zu einem staatlichen Gut machen, wollte Pferde züchten und Schwertkämpferinnen ausbilden … Das ganze Leben lag noch vor ihr – ein neues Leben ohne Verzweiflung und Bitterkeit. Und das schönste daran war: Lori wartete auf sie.
JOAN MARIE VERBA
Sicheres Geleit
Joan Marie Verba, die ich bei ein oder zwei unserer Conventions kurz kennenlernte, lebt in Minneapolis, und das Klima dort ist, wenn ich mich recht erinnere, nicht viel anders als auf Darkover. Neben mehreren Geschichten für unsere Anthologien hat sie auch zwei Sachbücher verfaßt, und zwar über Astronomie. Dieses Feld überlasse ich ihr gern. Als ich einige astronomische Abhandlung meines ersten Mannes durchblätterte, mußte ich feststellen, daß sie für mein begrenztes mathematisches Auffassungsvermögen viel zu kompliziert waren.
Orain wischte sich mit der Hand über den Mund. Blut tropfte von seinen Lippen. Behutsam betastete er seine Stirn und spürte, wie die eiförmige Beule anwuchs. Er bückte sich steif zu Boden, formte einen Schneeball und preßte ihn gegen die Schwellung. Dann wankte er zum nächsten Baum, ließ sich zwischen zwei starken Wurzelsträngen nieder und lehnte den Rücken gegen den Stamm.
In der Nähe suchte sein Chervine Mhari unter der Schneedecke nach Gras. Ein Blick genügte und Orain wußte, daß die Banditen alles, aber auch wirklich alles hatten mitgehen lassen: seine Töpfe, den Proviant, Decken und Schlafmatte, die Kleider zum Wechseln – vor allem aber das gesamte Geld, das er im Laufe eines Sommers erworben hatte, indem er in den hundert Königreichen von einem Dorf zum nächsten zog. Schon seit vielen Jahren verdiente er seinen bescheidenen Lebensunterhalt damit, im Sommer den Farmern, Jägern und Handwerkern seine Waren zu verkaufen, um dann im Winter, wenn die Wege unpassierbar wurden, in seine Heimatstadt Nevarsin zurückzukehren. Ihm behagte dieses unstete Leben, und er hatte unterwegs viele Freundschaften geschlossen. Ob es nun Glück oder Zufall war – jedenfalls war er dabei nie zuvor unter Räuber gefallen, die ihn bis aufs letzte Hemd ausgeplündert hatten.
Vielleicht wurde er allmählich zu alt für dieses Geschäft, dachte er, während er noch einmal die Finger prüfend auf die Beule legte. Vielleicht hätte er besser von der Straße gehen und sich im Wald verstecken sollen, als er das Hufgeklapper näher kommen hörte, so wie er es sicherheitshalber schon oft getan hatte. Aber die Sonne hatte gelacht und er war so gutgelaunt gewesen, daß er gar nicht erst auf den Gedanken gekommen war, daß an einem so herrlichen Tag irgend etwas Böses geschehen könnte.
Jetzt versteckte sich die Sonne hinter grauen Wolken; die ersten
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