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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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ängstlich. Sie können ja hier bleiben.« Ich zog meine Schuhe aus und lief die Treppen hinunter zum Strand.
    »Warte«, riefen Sie, »ich komme mit.«
    Ich zog mich in der Dunkelheit bis auf meinen Slip und den BH aus, dann rannte ich in die Brandung. Das Wasser war kalt und unheimlich. Ich hatte das Gefühl, der Strand würde sich rasend schnell von mir entfernen. Plötzlich waren Sie neben mir und lachten: »Du bist verrückt.«
    »Ich sehe fast nichts.«
    Ich drehte mich auf den Rücken und blickte nach oben. »Erkennen Sie die Sternbilder?«
    »Ein paar, aber eigentlich ist es egal. Die Sterne interessieren die Namen, die man ihnen gibt, wahrscheinlich nicht besonders.«
    Sie ließen sich nun auch auf dem Rücken treiben.
    »Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal um diese Uhrzeit im Meer schwimmen war.«
    Eine Weile waren da nur dieses ferne hohe Schwarz, die Geräusche des Wassers und das fremde, unendliche Flimmern am Firmament. Ich öffnete die Augen und sah Sie plötzlich nicht mehr; ein wild pochendes Angstgefühl durchfuhr mich; dann hörte ich Ihre Stimme in einiger Entfernung von mir, die mir sofort
wieder ein Gefühl von Sicherheit gab: »Wir sind viel zu weit draußen. Wir müssen zurück, komm!«
    Ich versuchte, als Erste den Strand zu erreichen, aber Sie waren schneller. Sie griffen nach Ihren Sachen und rieben sich mit Ihrem Hemd den Kopf trocken.
    »Ich friere.«
    Sie lachten. »Du bist wirklich verrückt.«
    Ich war stolz, dass ich auf diese Idee gekommen war, denn ich wollte unbedingt, dass Sie sahen, wie unabhängig ich war.
    »Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht.«
    »Maja?« Sie blieben kurz vor der Terrasse stehen. »Falls mich der Schriftsteller morgen nicht anruft, hättest du Lust, nach dem Mittagessen zum Joggen am Strand mitzukommen? Ich werde nicht frühstücken gehen. Ich muss dringend einmal ausschlafen.«
    Ein eigenartiges Glücksgefühl durchströmte mich. Ich wollte nicht wahrhaben, wie sehr ich mich über die Einladung freute, vor allem, weil sie so überraschend erfolgt war. In meinem Zimmer kramte ich gleich nach den Sportschuhen, die ich in meinen Koffer gesteckt hatte. Ich legte mich ins Bett und drehte leise das Radio auf. Doch statt der Musik, die mir so gefiel, fand ich nur Programme, in denen Männer laut und mit heiserer Stimme redeten, als ob sie in einen heftigen Streit geraten wären. In der Dunkelheit wirkten die fremden Stimmen wie die fernen Verwandten jener Wassergeister, von denen Sie erzählt hatten, dass sie Macht über Träume haben.

    Am nächsten Tag, als wir nach dem Frühstück zum Strand gingen, war mein Vater bester Laune, obgleich etwas übertrieben Hektisches in dieser Fröhlichkeit steckte. Alle seine Schreibsachen, Bücher und Notizhefte hatte er mit an den Strand genommen. Er legte den Arm um meine Schulter, machte Scherze und griff, sobald ich meinen Bikini angezogen hatte, nach meiner Hand, um mit mir gemeinsam ins Wasser zu rennen. »Los, Maja, jetzt hat das Faulenzen ein Ende.«
    Wir schwammen bis zu einem abseits gelegenen Felsenriff, tauchten zusammen entlang der gezackten, scharfen Steinformationen, die sich unter der Wasseroberfläche hinzogen, wobei wir die sonderbarsten Pflanzen und moosartigen Gewächse sahen, in denen ein rötlich flimmerndes, perlenhaft glänzendes Funkeln herrschte. Einmal drehte sich mein Vater unter Wasser um, verharrte mit rudernden Beinen an seinem Platz und formte mit seinen Händen lustige Zeichen, darunter auch, die zwei Daumen und Zeigefinger gegeneinander drückend, einen kleinen Kreis, den er als Zeichen in meine Richtung warf.
    Später, am Strand, las er wieder in seinen Büchern und schrieb etwas in seine Hefte, in denen er sich Ideen für seine Geschichten notierte. Ich fragte ihn, was er schreiben würde, und er sagte, die Unterhaltung mit Ihnen hätte ihn an eine Reise nach Griechenland erinnert. Als junger Mann habe er auf Kreta einmal bei einem Hotelbesitzer gearbeitet. Der Mann hatte ihn zu einem Festmahl am Abend eingeladen, weil er einen großen Oktopus gefangen hatte. »Ich
mochte den Hotelbesitzer, zugleich habe ich mich schrecklich vor den Augen dieses Tieres gefürchtet. Ich habe Mitleid mit diesem Wesen empfunden wie niemals später mehr in meinem Leben. Darüber will ich etwas schreiben.«
    Er legte den Stift beiseite, öffnete eine Dose holländisches Bier und sagte plötzlich, gänzlich aus dem Zusammenhang gerissen: »Ich habe auch über die Geschichte mit dem Ziegenbock nachgedacht.

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