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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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Schauspieltruppe, die sich links und rechts von Ihnen bewegten. Ich sah, wie mein Vater wieder an einem Weinglas nippte, zu meiner Mutter zurückkehrte und sie fest auf den Mund küsste. Beim ersten Mal lächelte sie etwas irritiert, beim zweiten, längeren Versuch seiner hektischen, übertriebenen Zärtlichkeit drehte sie den Kopf zur Seite.
    Sie gab ihm vorsichtig zu verstehen, dass das hier nicht der richtige Ort sei, indem sie ihn leicht abwehrte. Er fühlte sich verletzt und belehrt. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, während er noch einen kurzen Moment mit ihr weitertanzte. Dann brach er ab und ging zum Büfett. Meine Mutter kam zu mir auf die Veranda, lächelnd und keinesfalls betrübt oder enttäuscht.

    »Ist er beleidigt?«, fragte ich sie.
    »Nein, ich glaube, er ärgert sich über sich selbst.«
    »Nur weil er dich küssen wollte?«
    »Mach dir keine Gedanken. Alles gut bei dir?«
    Sie legte ihre Hände auf meine Schultern und flüsterte mir ins Ohr, dass es ein schöner Abend sei.
    Meine Mutter winkte Ihnen kurz zu, während Sie an der Veranda vorbei in die Küche gingen. Sie nickten und zwinkerten mit den Augen, freilich ohne jede Zweideutigkeit. Mein Vater war indessen wieder auf die Tanzfläche in der Nähe des zentralen Baumes zurückgekehrt. Die Musiker spielten immer noch diese langen, gedehnten Lieder, die nach einer Weile nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren. Ich hatte mich mit meiner Mutter unterhalten, als mir plötzlich bewusst wurde, dass mein Vater nur noch alleine auf der Tanzfläche war.
    Es hatte etwas Bedrohliches und Aggressives, wie er sich da, betrunken eine Art lächerlichen Zorbas-Sirtaki imitierend, mit geschlossenen Augen drehte, mit den Beinen aufstampfend wie bei einem Marsch, vollkommen fern der rhythmischen Folgen der Musik, die gespielt wurde. Er war ganz in sich versunken. Er schüttelte seine Arme und spreizte die Hände. Irgendeine psychedelische Musik hätte dazu wahrscheinlich Sinn ergeben. Dann breitete er wieder die Arme zur Seite aus, drehte sich, ging mit einem Bein halb in die Knie, erhob sich wieder und schnippte mit den Fingern. Ich glaubte, das kurze, helle Fingerschnippgeräusch bis zur Veranda zu hören. Die
Musiker beachteten ihn zunächst nicht, legten jedoch nach einer Weile die Instrumente beiseite und verließen ihren Platz. Mein Vater öffnete die Augen und rief laut: »Hey, what’s going on?«
    Meine Mutter lief zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie dirigierte ihn unauffällig vom Schauplatz seiner entwürdigenden Vorstellung fort. Ich glaubte - obwohl das natürlich nur eine Einbildung war -, alle würden uns beobachten. Ich dachte, aus jeder Ecke des Hauses wären die Augen der Gäste auf meine Familie gerichtet. Über die aufgestellten Lautsprecher war nun leise westliche Musik zu hören. Die Frau vom Konsulat hatte das Fest verlassen, ohne sich von meinen Eltern zu verabschieden.
    Mein Vater war betrunken - auf eine leise, unheimliche Art, ohne zu schwanken oder die Orientierung verloren zu haben. Er redete kaum noch ein Wort, folgte uns stumm zu dem in einem Seitenweg geparkten Toyota. »Nun müssen Sie wohl fahren«, sagte meine Mutter, wobei sie einen betont lockeren Ton anschlug. Sie lächelten und sagten, die Hitze sei heimtückisch.
    Alle drei saßen wir auf dem Rücksitz, mein schweigender Vater in der Mitte. Ich sah kurz einmal von der Seite sein Gesicht an. Die Fröhlichkeit, die dort noch vor einer Stunde zu sehen gewesen war, war in ihr extremes Gegenteil umgeschlagen. Sie hingegen wirkten gelöst und entspannt. »Wie warm es immer noch ist um diese Uhrzeit.«
    Der Wagen holperte über Schotterstraßen. Am Fenster zogen Felder und Sandhügel vorbei, vereinzelte
ärmliche Häuser. Über uns ein großer, blassblauer Nachthimmel mit einem stark leuchtenden Mond. Das Fenster an Ihrer Seite war leicht geöffnet. Ich schloss die Augen und hörte auf das Rauschen des Fahrtwindes. Der Duft der Bäume war schwer und süß. Sie stellten leise das Radio an. Ich dachte: Wie sicher er fährt. Keine Spur von miserablen Fahrkünsten. Sie wiesen auf ein altes verblichenes Schild: »Diese Straße führt zur Al-Ghriba, einer der ältesten Synagogen auf der Insel. Es ist ein geheimnisvolles, beeindruckendes Haus.«
    Am nächsten Morgen erschien mein Vater nicht zum Frühstück. Meine Mutter verlor kein Wort über den Abend, während Sie mit einem Glas Orangensaft in der Hand zu unserem Tisch kamen. Sie fragten, ob alles in Ordnung

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