Das Wüten der ganzen Welt
Hause meine Querflöte.«
Es war einer dieser Sommerabende, deren hellgraue Nieselregenluft für eine stundenlange Dämmerung sorgt. Amseln sangen im Wald der Fernsehantennen. Es war beinahe eine Entweihung, dagegen anzureden, aber als wir am Hafen mit seinem eigenwilligen, starken Geruch entlangliefen, konnte ich es nicht lassen zu fragen: »Wie geht es eigentlich Herman?«
»Er selber wird wahrscheinlich finden, daß es ihm gutgeht, dieses Ekel. Wir sehen ihn eigentlich nie. Er ist immer bei seiner Freundin. Sie ist phantastisch, aber er - so ein Angeber! Er denkt wirklich, daß ihm die ganze Welt zu Füßen liegt. Oh, oh, wie ist er mit sich selbst zufrieden, wie kriegt er alles gut hin! Bald wird er eingezogen. Nun, ich werde froh sein, wenn er 'ne Zeitlang nicht zu Hause ist. Neulich stand ein Gedicht von ihm in De Rotterdammer, hast du das gesehen?«
»Ja«, sagte ich, »ich hab daraus behalten: Tausend Hyänen, mit Hämmern geschlagen, können nicht mehr heulen um ihr elendes Schicksal als ich.«
»Elendes Schicksal! Er!«
»Das macht nichts; auch wenn er noch so fröhlich ist, darf er durchaus schreiben, daß ihm elend ist, und die Tausend Hyänen finde ich sehr schön.«
»Bei mir heulen nur fünfhundert Hyänen, und die machen mir schon genug zu schaffen. Ich weiß nicht, wie das bei dir ist, aber seit dem einen Mal, als meine Mutter so unglaublich aasig zu dir war...«
»Aasig? Wann?«
»Das wirst du doch wohl noch wissen? Du kamst damals zusammen mit dem Mann, der ein verrücktes Kind bei sich hatte.«
»Ach, damals.«
»Weißt du eigentlich, warum sie so aasig war?«
Mich störte das Wort »aasig«, es war ein Wort wie mokkel und gassie, und darum sagte ich: »Ich hatte damals auch nicht so gut geübt, ich war...«
»Hör auf! Du spieltest genausogut wie sonst, sie war...«
»...nicht gut gelaunt«, fiel ich ihm ins Wort, um dem Ausdruck »aasig« zuvorzukommen.
»Genau, sie war einfach bockig.«
Auch dieser Ausdruck störte mich, aber zugleich fragte ich mich, warum ich die Sprache vom Hoofd verabscheute. Hieß es nicht schon in der Bibel »hoffärtig«?
»Ich verstehe sehr gut, daß sie übler Laune war«, sagte ich, »Douvetrap hatte ihr Fotos gezeigt, auf denen sie selbst zu sehen war, und zwar mit anderen zusammen, die vielleicht etwas mit dem Mord an Vroombout zu tun haben.«
»Sie hat selber etwas damit zu tun«, sagte William, »sie ist in irgendeiner Weise darin verwickelt, aber du kriegst kein Wort mehr aus ihr heraus, wenn du nur das Geringste davon erwähnst. Sie würde mich... sie weiß doch, daß ich... sie hat doch gemerkt, daß ich ganz durcheinander war, als ich hörte, daß sie ihn erschossen hatten. Er war immer so nett zu mir, so nett...«
Ab und zu fiel ein Regenspritzer, und die Amseln besangen die ewige Dämmerung, und ich dachte: Also auch er, und sagte: »Ja, er war zu mir auch immer sehr nett, er hat mir manchmal einen Groschen gegeben.«
Eigenartig, daß ich das Wort »Quartje« nicht über die Lippen bringen konnte, aber indem ich den Geldbetrag verkleinerte, war es, als ob ich bagatellisieren könnte, was in der »Gärtnerei« bei den wehenden Zaunwinden geschehen war.
Er sagte mit Nachdruck: »Ich habe nie Geld von ihm annehmen wollen.«
Wir liefen eine Weile schweigend weiter. Zwei Mädchen sangen: »Ozewiezewose wiesewalla kristalla kris ozewiezewose wiese wied wied wied wied.« Ich sehnte mich danach mitzusingen. Es hätte mich erleichtert.
Er sagte: »Ich würde zu gern wissen, ob meine Mutter wirklich etwas damit zu tun hat, es ist, als könnte ich sie nicht mehr richtig liebhaben, aber wie komme ich dahinter? Sie will nichts sagen. Wenn du auch nur das Geringste davon verlauten läßt, ist sie für den Rest des Tages nicht zu genießen.«
»Dann hat sie also etwas damit zu tun.«
»Hat sie mit Sicherheit, aber was? Warum stand sie da? Es paßt überhaupt nicht zu ihr, zu einer solchen Versammlung zu gehen.«
»Aber ihr seid danach, so ungefähr als die einzigen, bekehrt...«
»Das sagt doch gar nichts. Wir waren ja nicht nichts, und sie hatte immer schon das Gefühl, daß wir uns irgendeiner Kirche anschließen sollten. Sie hat uns meiner Meinung nach damals nur deshalb reformiert und evangelisch werden lassen, um die Aufmerksamkeit von uns abzulenken.«
»Ja, aber so lenkte sie die Aufmerksamkeit erst recht darauf, daß sie dort gestanden hatte.«
»Vielleicht wollte sie das sogar, vielleicht war es eine Art Schuldbekenntnis, was weiß ich.
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