Das Wunder der Liebe
verletzt, dass sie für immer hinken würde, und dann war sie noch auf den Charme eines Betrügers hereingefallen und von ihm nach Strich und Faden ausgenommen worden. Aber genug war genug. Sie war jetzt neunundzwanzig Jahre alt. Wenn sie jetzt nicht aufhörte, sich in Selbstmitleid zu ertränken, wann dann? Sie musste sich endlich ihren Ängsten stellen und sich wieder zum Leben bekennen. Sie hatte zehn kostbare Jahre ihres Lebens mit Selbstmitleid verschwendet. Es war an der Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und der Zukunft in die Augen zu sehen.
Bestürzt über diese Erkenntnisse, steckte Wren die Hände in das Spülwasser und schaute aus dem Fenster über die schneebedeckten Felder hinaus. Einige Spatzen saßen aufgeplustert auf den Telefondrähten. Das Wasser im Vogelbad war gefroren, ebenso die Grashalme und der Gartenschlauch.
Seit sie sich entschlossen hatte, Keegan ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten, hatte ihre Laune sich, abgesehen von dem kurzen Tief eben in der Küche, erstaunlich verbessert.
Das überraschte sie. Seit vielen Jahren waren alle Dinge, die mit Weihnachten zu tun hatten, nur noch eine lästige Pflicht gewesen. Aber in diesem Jahr war alles anders. Wren fühlte sich freier, unbeschwerter, ja fast so fröhlich wie in ihrer Kindheit.
Das Stricken, das Dekorieren, auch die Zubereitung des Frühstücks hatten ihr Spaß gemacht. Der Gedanke, diesem zurückhaltenden seltsamen Fremden ein wenig von der Freude von Weihnachten näher zu bringen, hatte sie beflügelt.
Keegans Reaktion auf ihre Anstrengungen hatte sie jedoch enttäuscht, aber was hatte sie erwartet? Dass er plötzlich seine Verbitterung wie eine Maske fallen ließ und in einen Freudentaumel ausbrach? Dass er sich für ihre Mühe mit einem jubelnden Applaus bedanken würde?
“Du bist ganz schön dumm”, flüsterte sie.
Keegan war ein einsamer Mann, der durch einen großen Schmerz von richtigen Weg abgekommen sein musste. Sie hätte seine Reaktion erahnen können. Sie hatte maßlos übertrieben.
Man konnte niemanden zwingen, Weihnachten als ein Fest der Freude anzunehmen.
Trotzdem hatte sie nicht vor, sofort aufzugeben. Falls jemand jemals ein Weihnachtswunder gebrauchte hatte, dann war es Keegan Winslow. Sie kannte sein Leben nicht, wusste nicht, was er durchlitten hatte. Aber die Fotografie, die sie gesehen hatte, und die große Brandnarbe auf seinem Rücken erzählten eine traurige Geschichte.
Wren faltete die nassen, seifigen Hände. Sie wussten nicht genau, worum sie bitten sollte, aber etwas in ihrem Inneren fand allein die Worte.
“Bitte, bring Keegan aus der Dunkelheit ins Licht.”
Und plötzlich fühlte Wren sich viel besser. Sie wusste nicht, was mit ihr geschah, aber zum ersten Mal seit vielen Jahren blühte Hoffnung in ihrem Herzen auf.
Während Keegan die Treppe hinuntereilte, atmete er mehrere Male tief durch. Die kalte Luft brannte in seinen Lungen, doch der Schmerz war ihm auch willkommen. Er inusste sich daran erinnern, wer er war und was er hier im ländlichen Texas suchte.
Er konnte nicht ruhen, bis Connor Heller tot oder wieder hinter Gittern war. Er konnte sich noch nicht einmal die Freude erlauben, den Heiligen Abend mit dieser außergewöhnlichen und warmherzigen Frau zu verbringen. Sich diesen kleinen Luxus zu gönnen wäre ein Verrat an Maggie gewesen. Der Tod seiner Frau musste gerächt werden. Und bis er dieses Ziel nicht erreichte, hatte er nicht das Recht auf ein eigenes Leben.
Das, was ihn an Wren Matthews am meisten beunruhigte, war die Tatsache, dass sie ihm Hoffnung machte. Bis er ihr begegnet war, hatte er geglaubt, alle Sehnsucht wäre für immer mit Maggie und Katie gestorben. Jetzt wieder Kegungen in seinem Herzen zu spüren machte Keegan erst recht wachsam.
“Du musst dich auf deine Aufgabe konzentrieren”, murmelte er, während sein Atem weiße Dampfwölkchen bildete. “Denk an Heller.”
Er wusste, dass sich der Mann in dieser Gegend aufhielt.
Wollte Heller Weihnachten vielleicht zu Hause verbringen?
Obwohl Connor Heller und sein Bruder, Victor, bei ihrer Mutter in Chicago aufgewachsen waren, waren beide in Texas geboren, und Connors Vater lebte immer noch in Stephenville, nicht weit von Wrens Farm entfernt. Keegan konnte den Gedanken kaum ertragen, dass Heller in so mittelbarer Nahe sein könnte. So nah war er in den letzten sechs Monaten noch nie an ihn herangekommen, und doch gab es nicht viel, was er jetzt tun konnte. Zumindest jetzt noch nicht.
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