Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
die Mädchen, mit denen sie aufgewachsen war, hatten in ihrem Leben immer eine immens wichtige Rolle gespielt. Wenn ihre alten Freundinnen jetzt alle vor ihr auftauchen würden, würde sie sie bis zu ihrem letzten Atemzug beschützen. Doch das war natürlich zu wenig und viel zu spät. So war es immer gewesen. Sie waren alle weg – alle bis auf Georgie, die hier durch einen dünnen, glitzernden Faden am Leben gehalten wurde.
Sie setzte sich neben sie. »Jetzt ist es so weit«, wisperte sie.
Georgie – die süße, unschuldige Georgie – drehte sich zu ihr um und sagte: »Pfirsich.«
Agatha tastete nach der Hand ihrer alten Freundin, und als sie sie gefunden hatte, hielt sie sie ganz fest. »Ja«, sagte sie. »Er ist immer noch da.«
Die Frage war nur, wie lange noch.
VIER
Wunschlisten
C olin saß im Café von Au Naturel Sporting Goods , nippte an seinem Cappuccino und starrte aus dem großen Schaufenster auf die vorbeifahrenden Autos. Es herrschte ziemlich viel Verkehr, offenbar wollten auch an diesem Tag eine Menge Leute in den Nationalpark. Die Stimmung in diesem Stadtviertel war völlig anders als im Rest des Ortes. Sie wirkte hektisch und ein bisschen oberflächlich. Colin war seit Langem nicht mehr hier gewesen, doch es hatte sich nicht viel verändert, so auch die Tatsache, dass hier kaum Einheimische zu sehen waren. Die National Street war ihnen zu touristisch. Die in langen Reihen stehenden Backsteinhäuser waren zwar alt, aber die Geschäfte darin modern und neu. Die meisten Ladeninhaber kamen von auswärts.
So ungern er es zugab, er fühlte sich dieser Stadt noch immer verbunden, und sei es auch nur wegen seiner Erinnerungen. Er war durch seine Arbeit viel in der Welt herumgekommen. Bei städtischer Gartenarchitektur ging es nicht darum, die Städte gleich aussehen zu lassen, sondern vielmehr darum, aus ihrem Erbe zu schöpfen. Er galt als einer der Besten in dieser Branche. Neue Kulturen kennenlernen, herumreisen, nicht zu lange an einem Ort verweilen – das war genau nach seinem Geschmack. Doch immer, wenn er wieder einmal einen Besuch zu Hause machte – meist, wenn ihn Schuldgefühle gegenüber seiner Mutter plagten oder seine Schwester ihn um Hilfe bat, was sie nur selten tat –, überkam ihn ein seltsames Gefühl. Ihm war, als würden seine Füße bleischwer werden, als würde er im Wurzelgeflecht dieses Ortes versinken. Doch er wollte nicht mehr der Colin sein, der hier verwurzelt war, der genauso zurechtgestutzt worden war, wie sie ihn alle haben wollten.
Als die Glocke über der Tür klingelte, drehte er sich um.
Soeben hatte Willa Jackson den Laden betreten. Sie trug Jeans, schwarze Cowboystiefel und ein schwarzes, ärmelloses Top, dessen Träger sich über ihren nackten Schultern kreuzten. Ihr honigblondes Haar war wellig, jedoch nicht lockig, und sehr dicht. In der Highschool war es viel länger gewesen. Sie hatte es damals stets zu einem unordentlichen Zopf geflochten. Hatte sie es wirklich immer so getragen? Im Grunde konnte er das nicht sagen. Er wusste nur noch, dass sie es bei ihrer letzten Begegnung so getragen hatte. Damals, als sie flankiert von Polizisten aus der Schule marschierte.
Jetzt waren ihre Haare kinnlang, seitlich gescheitelt und an einer Seite mit einer glitzernden Spange zusammengehalten. Er fand diese Frisur frech. Sie passte zu dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte. Allerdings war ihm nie klar gewesen, dass dies ein völlig falsches Bild war. Nein, so falsch konnte es nicht sein. Denn wenn er sich bezüglich Willa, seiner Muse, getäuscht hatte, dann hatte er womöglich auch die falschen Entscheidungen getroffen.
Das Mädchen, das ihm den Cappuccino gemacht hatte, entschuldigte sich bei einem Kunden und ging Willa entgegen. Er hörte, wie sie sagte: »Da möchte dich jemand sprechen.«
»Wer denn?«, fragte Willa.
»Keine Ahnung. Er ist vor etwa einer Stunde hier aufgekreuzt und hat nach dir gefragt. Ich habe ihm gesagt, dass du bald kommst. Jetzt sitzt er im Café und wartet auf dich. Cappuccino mit einem Würfel Rohrzucker«, erklärte sie mit gesenkter Stimme, als würde sie eine vertrauliche Information weiterleiten, eine Art Geheimnis über ihn enthüllen.
Willa ging zum Café, doch als sie Colin erkannte, machte sie sofort kehrt. Er musste grinsen.
»Was ist denn?«, fragte das dunkelhaarige Mädchen. »Wer ist das?«
»Colin Osgood«, antwortete Willa.
»Ist er mit Paxton verwandt?«
»Er ist ihr Bruder.«
»Hasst du ihn etwa
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