Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
schloss seufzend die Augen. »Nichts ist los. Ich habe nur den Eindruck, dass es offenbar nie reicht, was ich tue.«
»Für wen? Für Mom und Dad? Darüber musst du dich endlich hinwegsetzen. Solange du nicht ein eigenes Leben führst, wirst du nie glücklich werden.«
»Die Familie ist wichtig, Colin. Aber ich habe nicht erwartet, dass du das verstehst.« Sie schickte sich an zu gehen. »Vertrittst du mich bitte heute beim Abendessen? Sag Mama und Daddy, dass ich noch etwas im Büro zu erledigen habe.«
»Warum?«
Sie wirbelte herum. »Kannst du nicht wenigstens das für mich machen? In den letzten zehn Jahren hattest du kaum Gelegenheit dazu, mir einen Gefallen zu tun.«
Sie hatte recht. »Gehst du wirklich noch ins Büro?«, fragte er.
»Nein.«
Paxton fuhr zu Sebastian und parkte vor seinem Haus. Als sie sein Auto nirgends entdecken konnte, fiel ihr ein, dass er sich dienstags länger in der Praxis aufhielt. Deshalb hatte er am Morgen die Zeit gehabt, sie zu ihrer Großmutter zu begleiten. Musste sie ihn jetzt tatsächlich zweimal sehen, um den Tag zu überstehen? Wie hatte sie das geschafft, bevor er in die Stadt zurückgekehrt war? Im Wesentlichen hatte sie ihren Stress damals für sich behalten, ihn mit roter Lakritze weggenascht oder versucht, ihn mithilfe ihrer vielen Listen zu bewältigen, die sie keinem zeigte.
Sie öffnete ihr Fenster und stellte den Motor ab. Schon allein hier zu sitzen und das Shade Tree Cottage zu betrachten fühlte sich gut an. Sie zog ein kleines Notizbuch aus ihrer Tasche, eines der zahllosen Notizbücher, die sie ständig dabeihatte. Manchmal benutzte sie für ihre Notizen auch nur das, was gerade herumlag – eine Serviette oder die Rückseite eines Briefumschlags. Und all dies landete in ihrer Tasche. Bei den meisten ihrer Listen ging es um Kontrolle, darum, ihr Leben in überschaubare kleine Abschnitte einzuteilen. Bei manchen handelte es sich auch um Wunschlisten. Es gab für Paxton nichts Befriedigenderes, als das, was sie sich am meisten wünschte, zu Papier zu bringen. Dadurch erhielt etwas, was vorher so flüchtig wie Luft gewesen war, ein wenig mehr Substanz und machte damit einen Schritt hin zu seiner Verwirklichung.
Sie schlug eine leere Seite auf und begann mit einer Liste, bei der es um Sebastian ging. Von solchen Listen besaß sie schon mehrere. Sebastians Lieblingsdinge. Wohin würden Sebastian und ich fahren, wenn wir gemeinsam Urlaub machen würden? Und so weiter.
Heute lautete die Überschrift:
Gründe, warum ich mich bei Sebastian besser fühle :
– Es ist ihm egal, dass ich fast so groß bin wie er.
– Es ist ihm egal, dass ich mehr wiege.
– Er drückt mir die Hand, wenn ich es brauche, und hält nicht weniger von mir, weil ich es brauche.
– Er riecht fantastisch.
– Seine Manieren sind tadellos, sein Geschmack ebenso.
»Machst du das oft, wenn ich nicht da bin? Vor meinem Haus sitzen und an deinen Listen arbeiten?«
Paxton zuckte zusammen und drehte sich um. Sebastian hatte die Hände auf das Dach ihres Wagens gelegt und beugte sich nach unten, um ins Fenster zu spähen. Die Sonne unterstrich, wie rein und makellos seine Haut war, und ließ seine blauen Augen kristallklar funkeln. Sie hatte sein Kommen nicht bemerkt. Jetzt aber sah sie, dass sein Auto direkt hinter ihrem parkte.
Sie lächelte und stopfte ihr Notizbuch rasch in die Tasche zurück. »Nein. Ich habe nur auf dich gewartet.«
Er machte die Tür auf und half ihr beim Aussteigen. »Es ist zu heiß, um im Auto herumzusitzen. Deine Haare sind ja ganz feucht.« Er legte seine kühle Hand auf ihren bloßen Nacken. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu erschauern. Es wäre eine ganz natürliche Reaktion gewesen, deren Ursprung tief in ihr lag, in einem Brunnen, der randvoll war mit Sehnsüchten und Hirngespinsten. Sie konnte diesen Brunnen nicht versiegeln, sosehr sie sich auch bemühte. Aber ihrer Freundschaft wegen tat sie, was sie konnte, um nichts davon zu zeigen.
Sie lächelte. »Du schwitzt nie. Bist du überhaupt ein Mensch?«
»Ich bin so froh um Klimaanlagen, dass ich mich so oft wie möglich in klimatisierten Räumen aufhalte. Komm doch rein.« Sie gingen gemeinsam zum Eingang. Er sperrte die Tür auf und ließ ihr den Vortritt. Die Schlüssel legte er auf einen kleinen Tisch neben dem Eingang. Sie erhaschte einen Blick auf sich in dem Spiegel, der von einem goldenen Strahlenkranz umrahmt war. Sofort stellte sie ihre Tasche ab und strich sich mit beiden
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