Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
wäre doch viel sinniger, sich damit mal an den Bundeskanzler zu wenden oder so. Oder an sonst wen aus der Regierung …«
»Aber sie meinte, Regierungen …«
»Sie sagte ›weltliche Herrscher‹!«, berichtigte Claudia.
»… sind nur Tage im Amt, die himmlische Botschaft gelte aber auf ewig«, rekapitulierte Sophie.
Claudia erzählte weiter, wobei sie die Stirn runzelte, als versuche sie angestrengt, sich zu erinnern. »Und sie sei so sauer …«
»Sie sagte ›betrübt‹!«, korrigierte diesmal Sophie.
»Dass so viel Böses geschehe in der Welt, auch im Namen des …«
»Des Heilands, und wir sollten beten, damit das nicht wieder vorkommt. Oder jedenfalls nicht so oft.« Sophie erweckte den Eindruck, auch für kleine Verbesserungen dankbar zu sein.
»Ach ja, und beim nächsten Mal würde sie uns was zeigen«, leitete Claudia zum Höhepunkt der Veranstaltung über. »Ein Zeichen geben oder so was.«
»Sie wird also wiederkommen?«, fragte eine Frau aus der Zuhörerschaft atemlos.
Sophie nickte. »Am Dreißigsten. Und bis dahin sollten wir wirklich sehr viel beten. Und uns zeigen lassen, wie der Rosenkranz geht. Den kann ich bis jetzt nämlich gar nicht.«
»Ssöne Blumen, Rosen!«, ergänzte Bernie. »Ganss rot und ssöner Regenbogen.«
»War das alles?«
»Was hat sie noch gesagt?«
»Hat sie uns gesegnet?«
»Hat sie irgendwas von Heilungen gesagt?«
Nachdem die Mädchen offensichtlich geendet hatten, prasselte ein Schwall von Fragen auf sie ein. Wie abgesprochen reagierten die jungen Seherinnen erschrocken und verwirrt über die plötzliche Aufmerksamkeit.
»Ich möchte jetzt gehen …«, meinte Sophie eingeschüchtert und zog die Jacke, die ihr einer der Malteser-Helfer umgelegt hatte, eng um ihre Schultern. Sie sah darin süß und hilflos aus.
»Ich bin müde«, erklärte Claudia.
Nur Bernie strahlte mit unverminderter Begeisterung.
Doktor Hoffmann legte schützend den Arm um die Kinder, als die Menge trotzdem fast bedrohlich näher rückte. Auch Barhaupt und Wachtmeister Wegeborn schoben sich zwischen die Seherinnen und ihre frisch gebackenen Fans.
»Nun lassen Sie die Kinder mal in Ruhe«, meinte Barhaupt freundlich, aber in sehr bestimmtem Ton. »Ich denke, das Beste wäre, sie jetzt nach Hause zu bringen …«
Tatsächlich zogen sich die Menschen zurück und konzentrierten sich stattdessen auf den Waldboden, auf dem die Mädchen vorhin niedergesunken waren. Ein paar Frauen hoben Hölzchen und Blätter auf, eine füllte sogar Erdreich in ein Beutelchen.
Hoffentlich buddeln sie nicht noch tiefer, sonst stoßen sie heute schon auf Grundwasser, dachte Barhaupt besorgt.
Und dann wurde es endgültig dramatisch.
»Ich kann gehen! Muttergottes, ich kann gehen!«
Eine grobknochige, stämmige Frau stand inmitten der Lichtung und warf triumphierend die Arme gen Himmel. Mit strahlend glücklichem Gesichtsausdruck machte sie ein paar Schritte auf Claudia und Sophie zu. Die beiden waren, in Begleitung von Igor Barhaupt und Doktor Hoffmann, bereits auf dem Abstieg in den Ort. Sie wandten sich aber erschrocken um, als sie den Aufschrei der Frau hörten. Die korpulente Dame bewegte sich zielstrebig in ihre Richtung – dabei hinkte sie leicht, hielt sich aber unzweifelhaft problemlos auf den Beinen. Eine andere Frau hob inzwischen die zwei Krücken auf, an denen sich die Dame vorhin noch auf die Lichtung geschleppt hatte.
»Die Madonna hat mich geheilt!«
Pastor Jaeger warf Doktor Hoffmann einen ungläubigen Blick zu. Der Arzt eilte inzwischen zu der Frau auf dem Platz.
»Nun beruhigen Sie sich erst mal, Frau Hinzwegen! Ich habe Ihnen immer gesagt …«
»Die Madonna hat mein Bein geheilt! Danke, danke!« Frau Hinzwegen war nicht zu bremsen. Und inzwischen hatte sich auch eine interessierte Zuhörerschaft um sie versammelt.
»Seit fast zwei Jahren ging ich an Krücken! Damals bin ich von der Leiter gefallen, beim Fensterputzen … Ganz komplizierter Beinbruch, drei Monate lang lag ich in Gips, und danach konnte ich nicht wieder normal gehen. Bis heute! Danke, oh danke, gepriesen sei die Jungfrau!«
Frau Hinzwegen umrundete noch einmal ohne Gehhilfen die Lichtung. Danach erklang ein weiteres Marienlied.
Pastor Jaeger und Igor Barhaupt warfen Doktor Hoffmann fragende Blicke zu. Claudia und Sophie schauten regelrecht entsetzt. Der Arzt zuckte die Schultern.
»Ich erklär’s euch nachher«, raunte er den Verschwörern zu. »Unter der Voraussetzung, dass ihr mir den Rest hier auseinander
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